Geh-Radweg Vor dem Neuen Tore: In Gegenrichtung für Radverkehr frei gegeben. Foto: FUSS e.V.

FUSS e.V. Lüneburg: Kritik an Neuplanung des Geh-/Radwegs Vor dem Neuen Tore

Kritik übt FUSS e.V. an der Planung der Hansestadt für einen gemeinsamen Rad- und Gehweg “Vor dem Neuen Tore”. Ja, die Planung bringt deutliche Verbesserungen. Aber sie biete weder für Fuß- noch für den Radverkehr eine gute Lösung. Außerdem werde gleich gegen zwei Ausschlusskriterien für gemeinsame Geh- und Radwege verstoßen. Aus Sicht von FUSS e.V. völlig abzulehnen: Die Freigabe des Gehwegs für den Radverkehr in Gegenrichtung.


Mitteilung von: FUSS e.V. Lüneburg
Am: 15.03.2023
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Foto: FUSS e.V.


FUSS e.V. zur Planung für Rad- und Fußverkehr “Vor dem Neuen Tore” in Lüneburg

Foto: FUSS e.V. Aktuell: Der schmale Geh-/Radweg an der Straße Vor dem Neuen Tore ist obendrein in Gegenrichtung für den Radverkehr freigegeben. FUSS e.V. spricht sich klar gegen solche Lösungen aus.

Bei der Sitzung des AK Verkehr am 8. Februar 2023 wurde die Neuplanung für den Geh- und Radweg auf der Nordseite der Straße Vor dem Neuen Tore zwischen der Kreuzung Dörnbergstraße und Neuetorstraße vorgestellt.

Es ist absolut begrüßenswert, dass hier Verbesserungen angestrebt werden. Dort befindet sich aktuell ein gemeinsamer Geh- und – benutzungspflichtiger – Radweg. Dieser ist teilweise nur gut 1,40 Meter breit, abzüglich dem vorgeschriebenen Sicherheitsstreifen von 0,75 Meter zum Kfz-Verkehr bleiben 65 Zentimeter. Diese sollen sich Fuß- und Radverkehr teilen. Dieser enge Weg ist obendrein in Gegenrichtung für den Radverkehr freigegeben. Das ist eine Problemstelle und es ist zu begrüßen, dass sie angegangen wird.

I. Erhebliche Einwände aus Sicht des Fußverkehrs

Gleichzeitig haben wir als FUSS e.V. erhebliche Einwände gegen die vorliegende Planung in der Entwurfsunterlage vom 25.01.2023.

Denn: Fußverkehr braucht Schutz und Raum. Menschen aller Altersgruppen und mit verschiedensten körperlichen Befindlichkeiten sollen sich auf Gehwegen sicher und flüssig bewegen können.

Unterschiedliche Bewegungsmuster

Doch Fuß- und Radverkehr haben sehr unterschiedliche Bewegungsmuster: Zu Fuß Gehende bewegen sich unorganisiert. Sie weichen spontan von ihrer Laufrichtung ab, gehen mal links, mal rechts, in Gruppen und Paaren, und bleiben auch mal stehen.
Auch die Geschwindigkeit ist sehr unterschiedlich: Während die Menschen zu Fuß mal langsam, mal schneller unterwegs sind, bewegen sich Radfahrende zielorientiert und zügig.
Die unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Bewegungsmuster führen immer wieder zu Unsicherheiten, Konflikten und Gefahren.

Schlecht für Fuß- und Radverkehr

Die für Planer gültigen “Empfehlungen für Radverkehrsanlagen” (ERA) weisen ausdrücklich hin: Radverkehr im Gehwegbereich kann Fußgänger verunsichern oder gefährden. Ergänzt wird: “Auch den Ansprüchen des Radverkehrs wird mit der gemeinsamen Führung oft nur unzureichend Rechnung getragen.” (S. 27).
In der StVO-Novelle 2009/2013 werden Radfahrende folgerichtig nicht mehr dem Langsamverkehr – wie Fußverkehr – zugeordnet, sondern dem Fahrverkehr.

II. Drei grundsätzliche Einwände gegen den Planungsentwurf

Aus unserer Sicht sprechen drei gravierende Einwände gegen den Planungsentwurf.

1. Bei der Sanierung von Gehwegen muss Barrierefreiheit gewährleistet sein

Geplante oder sanierte Gehwege müssen barrierefrei gestaltet sein. Dies ergibt sich aus den Behindertengleichstellungsgesetzen von Bund und Ländern (z. B. § 8 Abs. 5 BGG). Diese Anforderungen an barrierefreie Gehwege wirken sich auch auf den Bestand aus.

An der Straße Vor dem Neuen Tore ist der Nahversorger Rewe angesiedelt und das Sozialkaufhaus Sack und Pack. Anlieger im Westen sind eine Kita, eine Krippe und ein integrativer Kindergarten. Dazwischen befinden sich eine der wenigen Kinder- und Jugendpsychiatriepraxen der Stadt und das Naherholungsgebiet Kalkberg.

Zudem ist dieser Weg zwischen Innenstadt und Weststadt ein häufig genutzter Schulweg zur östlich gelegenen Hermann-Löns-Grundschule.

Barrierefreies Vorankommen nicht gewährleistet

Man muss also davon ausgehen, dass an dieser Straße häufig besonders schutzbedürftige und mobilitätseingeschränkte Personen unterwegs sind: Personen mit Mobilitätshilfe oder Rollstuhl, mit Sehbehinderung, Hörbehinderung, mit kognitiven Einschränkungen, Ältere und Kinder, Personen mit Kinderwagen oder Gepäck.

Für diese Menschen stellt Radverkehr auf ihrem Weg eine erhebliche Einschränkung und Gefahr dar. Damit ist barrierefreies Fortbewegen hier nicht gewährleistet.

2. Es handelt sich um eine wichtige Ost-West-Verbindung für den Radverkehr

Bei ERA wird darauf hingewiesen, dass gemeinsame Geh- und Radwege nur vertretbar sind, wo die Netz- und Aufenthaltsfunktion beider Verkehre gering ist (S. 27). Hauptverbindungen des Radverkehrs werden ausdrücklich als Ausschlusskriterium benannt.

Verstoß gegen Ausschlusskriterium

Aber: Bei diesem Weg handelt es sich um eine wichtige Ost-West-Verbindung für den Radverkehr zwischen der Innenstadt und Weststadt sowie Reppenstedt. Damit verstößt die Planung gegen dies Ausschlusskriterium.

Zu beachten ist auch: Die Einsatzgrenze für solche gemeinsamen Wege ist laut ERA nutzungsabhängig. Sie berechnet sich nach der Nutzung durch Fuß- und Radverkehr in der Spitzenstunde.

Eine geplanten Breite von 3,25 Metern zuzüglich 0,75 Meter Sicherheitsabstand zum Kfz-Verkehr hin ist für etwa 110 Nutzer:innen in der Spitzenstunde ausgelegt. Der Sicherheitstrennstreifen zum Kfz-Verkehr ist dabei ausdrücklich zusätzlich zu berechnen. Er darf nicht zum Geh- und Radweg gezählt werden.

Wurde die Fuß- und Radverkehrsfrequenz in der Spitzenstunde an dieser Stelle ermittelt? Welche Daten liegen dazu vor?

3. Der Schutz von besonders schutzbedürftigen Fußgänger:innen muss gewährleistet sein

Die überdurchschnittlich hohe Nutzung des Seitenraums durch besonders schutzbedürftige Fußgänger (z. B. Menschen mit Behinderungen oder Mobilitätseinschränkungen, Kinder) ist ein weiteres Ausschlusskriterium für die Anlage gemeinsamer Geh- und Radwege bei ERA (S. 27).

Denn gemeinsame Benutzung heißt konkret: Bei jedem einzelnen Begegnungs- und Überholvorgang müssen die sich Begegnenden vereinbaren.

Ständiges Vereinbaren bei jeder Begegnung nötig

Der Radfahrende muss auf sich aufmerksam machen und prüfen, ob die Gehenden ggf. sein Klingelsignal gehört haben.

  • Er muss die Bewegung der Gehenden wahrnehmen und einschätzen.
  • Er muss überlegen, fährt er links oder rechts vorbei?
  • Dann kann er – in gebotenem Abstand und mit Vorsicht – überholen.

Die zu Fuß Gehenden müssen den Radfahrenden wahrnehmen.

  • Wenn sie zu zweit sind, müssen sie unter sich regeln, wer wohin ausweicht, und zur Seite treten.
  • Sie müssen die Fahrtrichtung des Rades einschätzen und Abstand dazu halten.

Zudem ist geplant, den Fußweg auch in Gegenrichtung für den Radverkehr freizugeben.

  • Das bedeutet, dass sich zu Fuß Gehende ständig nach hinten und vorne vergewissern müssen, ob sie ungefährdet laufen können.
  • Und die Radfahrenden müssen sich für eine Gasse zwischen den Entgegenkommenden und den zu Fuß Gehenden entscheiden.
    Man stelle sich vor, der Kfz-Verkehr wäre auf einer Hauptroute so geregelt!
Überforderung für besonders schutzbedürftige Fußgänger:innen

Mit diesen ständigen Anforderungen an Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Beurteilungsvermögen können ältere Menschen, Menschen mit Sinnes- und Bewegungseinschränkungen und besonders Kinder überfordert sein. Damit sind sie durch eine solche Verkehrsführung gefährdet.

Auf diesem Weg ist jedoch, wie oben beschrieben, gehäuft sowohl mit Menschen mit Behinderungen als auch mit Kindern zu rechnen. Demzufolge verstößt die Planung auch gegen dies Ausschlusskriterium. Sie steht auch im Widerspruch zur StVO-Novelle 2009: “Radverkehr ist Fahrverkehr.”

Auch für Radfahrende äußerst unbefriedigend

Nebenbei bemerkt: Auf solchen Wegen hat der Fußverkehr Vorrang und Radfahrende müssen ggf. im Schritttempo unterwegs sein. Damit ist auch das Radfahren hier äußerst unbefriedigend, wenn man zügig vorankommen möchte.

Darüber besteht im übrigen bei Radfahrenden große Unkenntnis. Es stünde der Stadt gut an, hier für Aufklärung zu sorgen.

III. Fazit: Bitte um Überdenken der Planungen

Wir erkennen ausdrücklich das Bemühen zur Verbesserung an, das hinter dem Entwurf steht. Die Umsetzung des Konzepts mit der Erweiterung der Verkehrsfläche zu den Gärten hin ist mit sehr beträchtlichem Aufwand verbunden.

  • Als FUSS e.V. müssen wir uns jedoch klar und eindeutig gegen einen gemeinsamen Fuß- und Radweg hier aussprechen. Und ganz entschieden gegen die Freigabe für den Radverkehr in Gegenrichtung.
  • Die Planung in dieser Form und an diesem Ort entspricht nicht den Vorgaben der Regelwerke und wird weder dem Rad- noch dem Fußverkehr gerecht.
Frage der Stadtkultur: Zwei Gruppen von Verkehrsteilnehmenden nicht in ständige Konflikte bringen

Nicht zuletzt ist das auch eine Frage der Stadtkultur: Eine solche Regelung führt zu ständigen gegenseitigen Behinderungen und Gefährdungen und weckt Ressentiments bei beiden Gruppen. Das ist heute schon zu beobachten.
Wollen wir uns das wirklich leisten, zwei Gruppen von Verkehrsteilnehmenden in ständige Konflikte zu bringen?

Bessere Lösung anstreben

Aus diesen Gründen bitten wir die Verkehrsplanung noch einmal darum, hier Abwägungen zu treffen und eine bessere Lösung anzustreben. Möglicherweise ist eine konzeptionelle Entscheidung anzugehen, die den Verkehrsraum des Stadtrings und der Fahrradrouten als Ganzes in den Blick nimmt.

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