ADFC Lüneburg: Wie der Rat den eigenen Beschluss zum Fahrradstraßen-Ring sabotiert
Die Ratssitzungen in Lüneburg zu verfolgen, ist nicht angenehm: Viel Gegeneinander, wenig konstruktive Zusammenarbeit. Der beginnende Wahlkampf – am 13. September 2026 sind Kommunalwahlen – macht es nicht besser. Am 13. November 2025 ging es im Rat um die Umgestaltung der Ilmenaustraße. Wie der Rat hier seinen eigenen Beschluss sabotiert, schildert Vorstandsmitglied Uwe Wenk vom ADFC Lüneburg. Der Beitrag ist gekürzt wiedergegeben.
Mitteilung von: ADFC Lüneburg – Am: 19.11.2025
Online: https://lueneburg.adfc.de/neuigkeit/die-unmoegliche-aufgabe – Foto: Uwe Wenk
ADFC Lüneburg: Wie der Lüneburger Rat seinen eigenen Beschluss zum Fahrradstraßen-Ring sabotiert
Eine Dokumentation der Ratsdebatte vom 13. November 2025
Foto: Uwe Wenk. Parken am Ufer der Ilmenau. Die Fahrzeuge beanspruchen auch den Gehweg.
Anderthalb Stunden debattierte der Lüneburger Rat am Abend des 13. November 2025 in der Ritterakademie. Die Emotionen kochten hoch, Vorwürfe flogen hin und her. „Ideologie!“, rief die eine Seite. „Blockade!“, die andere. Am Ende stand ein Beschluss, der ein Problem hat: Er ist voraussichtlich nicht umsetzbar.
Der Beschluss: Eine „Fahrradstraße“ ohne Veränderungen
Die Ratsmehrheit aus CDU, SPD und FDP hatte die Verwaltung beauftragt, eine „Fahrradstraße“ für die Ilmenaustraße zu planen – aber bitte ohne einen einzigen der 72 Parkplätze zu opfern. Dumm nur: Die Verwaltung hatte in ihrer Vorlage klar dargelegt, dass ein Teil dieser Parkplätze bei einer Neuplanung „aufgrund unzureichenden Raumes nicht mehr gemäß RASt 06, VwV-StVO und EAR 23“ umsetzbar ist. Technische Regelwerke. Gesetze. Kleinigkeiten.
„Das ist die Quadratur des Kreises“, kommentierte Markus Moßmann, Verkehrsdezernent der Hansestadt Lüneburg, das Ergebnis. Die Verwaltung steht jetzt vor einer unlösbaren Aufgabe. Und 2,6 Millionen Euro Bundesförderung schweben in Gefahr, verloren zu gehen.
Das versprochene Projekt
Es geht um mehr als eine Straße: Es geht um ein Versprechen, das die Stadt sich selbst und ihren Bürgerinnen und Bürgern gegeben hat. Rückblende, Sommer 2020: Im Kurpark steht der damalige Oberbürgermeister Ulrich Mädge (SPD) vor der Kamera des damaligen LZ-Journalisten und heutigen Bloggers Hans-Herbert Jenckel. „Lüneburg kriegt den Fahrradstadtring im ersten Quartal 2020“, verspricht Mädge im Video.
Fünf Jahre später ist der Ring immer noch nicht fertig. Und die SPD, Mädges Partei, stimmt nun gegen die Fortsetzung dessen, was ihr ehemaliger Oberbürgermeister versprochen hatte.
Radentscheid: Rat stimmt einstimmig zu
Ein Jahr nach diesem Interview, 2021, wurden über 7.300 Lüneburgerinnen und Lüneburger mobilisiert – mehr als zehn Prozent aller Wahlberechtigten. Sie unterschrieben den Radentscheid, forderten unter anderem auch den Fahrradstraßenring. Der Rat stimmte einstimmig zu. Auch CDU, SPD und FDP sagten damals: Ja, das machen wir. Jetzt, vier Jahre später, ist aus dem „Ja“ ein „Ja, aber“ geworden. Und dieses „Aber“ macht alles zunichte.
Die Debatte: Ein Ring, den keiner versteht
Was in der Ratssitzung besonders auffiel: Viele Ratsmitglieder hatten offenbar nicht verstanden, wofür dieser Ring überhaupt gut sein soll. „Ich fahre nicht über die Ilmenaustraße in die Stadt rein“, erklärte SPD-Ratsherr Jörg Kohlstedt, „ich fahre über Am Berge. Das ist der richtige Weg.“ Und dann die entscheidende Frage: „Wer will eigentlich an dieser Innenstadt vorbeifahren? Wer nimmt diesen Kreis?“
Es ist, als würde jemand über den Inneren Ring für Autos sagen: „Ich fahre über Am Graalwall direkt ins Zentrum, wozu brauche ich den Ring?“ Niemand käme auf diese Idee. Denn jeder versteht: Ein Ring dient nicht dem direkten Weg ins Zentrum, sondern den Tangentialverbindungen drumherum. Genau das sollte auch der Fahrradstraßenring leisten. Wer von Ost nach West will, von Nord nach Süd, ohne durch die enge und durch viel Gehverkehr belebte Innenstadt zu müssen – für den ist der Ring da. So wie der Innere Ring für Kfz seit Jahrzehnten selbstverständlich ist, ohne dass jemals nach seiner Daseinsberechtigung gefragt wurde.
Ideologie? Eine Begriffsklärung
„Ideologie!“ – dieser Vorwurf zog sich durch die Debatte wie ein roter Faden. Gemeint waren die Grünen und die Linke, die eine Fahrradstraße forderten, bei der alle Parkplätze entfallen sollten. CDU-Ratsherr Wolfgang Goralczyk brachte es auf den Punkt: „Null Parkplätze, eine Verbannung des Automobils aus der Innenstadt – das ist Ideologie, falsche Ideologie.“
Moment. Schauen wir uns an, was eigentlich gefordert wurde: Die Verwaltung hatte vorgeschlagen: Mischparken, 12 bis 13 Parkplätze müssen entfallen, weil sie sich nach den technischen Regelwerken RASt 06, VwV-StVO und EAR 23 nicht mehr umsetzen lassen. Keine politische Forderung. Technische Standards. Gesetze. Die Grünen und Linken forderten: Vollständiger Parkplatzentfall, dafür eine Fahrradstraße nach AGFS-Leitfaden. Auch hier: technische Standards, Förderbedingungen, regelkonforme Umsetzung.
Die Ratsmehrheit aus CDU, SPD und FDP forderte: Null Parkplätze dürfen entfallen. Koste es, was es wolle. Technische Standards? Egal. Förderbedingungen? Egal. Gesetze? „Machen wir trotzdem.“ Wer hier Ideologie über Fakten stellt, liegt auf der Hand.
Die 2,6-Millionen-Frage
Damit sind wir beim größten Problem des Ratsbeschlusses: dem Geld. Der Fahrradstraßenring ist kein kommunales Prestigeprojekt, finanziert aus der klammen Stadtkasse. Er wird zu 90 Prozent der förderfähigen Kosten vom Bund aus dem Programm „Klimaschutz durch Radverkehr“ gefördert. Aber: Fördergelder bekommt man nicht geschenkt. Sie sind an Bedingungen geknüpft. Technische Standards müssen einhalten, Regelwerke beachtet werden. Genau das, was der Ratsbeschluss nun zu unterlaufen versucht.
Was passiert, wenn der Bund feststellt, dass Lüneburg eine „Fahrradstraße“ baut, die gar keine ist? Niemand von CDU, SPD oder FDP hat in der Ratsdebatte über dieses Risiko gesprochen. Als interessiere der mögliche Verlust der Förderung von 2,6 Millionen nicht.
Am 13. September 2026 sind Kommunalwahlen in Niedersachsen. Der Wahlkampf hat begonnen. Die ersten Opfer sind Rad- und Fußverkehr, Stadtgrün und Naherholung.
Mehr Information und Kontakt
- ADFC Lüneburg: Die unmögliche Aufgabe – 19.11.2025
Der Beitrag von Uwe Wenk, ADFC Lüneburg, in vollständiger Fassung. - Hansestadt Lüneburg: Ratssitzung am 13. November 2025 – Livestream bei YouTube
Zum Nachlesen: Wortprotokoll der Beiträge (PDF-Datei) - Lüne-Blog: Hansestadt Lüneburg: Rat beschließt Änderungsantrag zur Umgestaltung der Ilmenaustraße – 15.11.2025
Der Mobilitätsausschuss Lüneburg empfahl eine Kompromisslösung für die Ilmenaustraße: Mehr Grün, Verbesserungen für Fuß- und Radverkehr als Teil eines Fahrradrings, dafür Wegfall einiger Parkplätze. Der Rat kippte den Vorschlag: Sämtliche Parkplätze müssen erhalten bleiben. In der Verwaltung fragt man sich jetzt, wie sich das umsetzen lässt – und das, ohne die zugesagten Fördermittel zu gefährden. Der Radentscheid attestiert den Fraktionen von CDU, SPD und FDP „verantwortungslose Kurzsichtigkeit“ und mangelndes Engagement für eine attraktive Innenstadt.

Foto: Uwe Wenk. Parken in der Ilmenaustraße. Die Verkehrsverbände kritisieren das Querparken. Denn ein- und ausparkende Autos fahren hier immer wieder hinaus auf die Mitte der Straße. Das gefährdet vorbeifahrende Radler:innen.
![]()
Lünepedia: Fahrradstraßen-Ring
Der Fahrradstraßen-Ring, von der Stadtverwaltung inzwischen als Fahrradring bezeichnet, ist ein ursprünglich vom ADFC geplanter Ring aus Fahrradstraßen um die innerstädtische Fußgängerzone. Die Einrichtung des Fahrradstraßen-Rings wurde 2020 in einer Sitzung des Verkehrsausschusses der Hansestadt beschlossen (mehr). Er wird eine Länge von ca. 2,5 km haben. Als erster Abschnitt wurde 2020 die Wallstraße als Fahrradstraße umgewidmet, 2023 folgte die Haagestraße. Er sollte bis 2024 umgesetzt sein, das war auch eine Forderung des beschlossenen Radentscheids.
Weiterlesen: https://www.luenepedia.de/wiki/Fahrradstraßenring
Grafik: OpenStreetMap Mitwirkende / Lünepedia. Geplanter Fahrradstraßenring um die Lüneburger Innenstadt. Er soll das zügige Queren der Innenstadt ermöglichen und die Fußgängerzone entlasten. Der Ring hätte bis Ende 2024 fertiggestellt werden sollen. Bisher gibt es nur den orange markierten Abschnitt.
![]()
Ergänzung oder Korrektur? Bitte Mail an redaktion@luene-blog.de – danke!
Lüne-Blog veröffentlicht Pressemitteilungen, Berichte und Veranstaltungshinweise von Parteien, Verbänden und Zusammenschlüssen: https://luene-blog.de/ueber-uns/
Lüne-Blog kannst du auch lesen bei:
![]() |
![]() |
![]() |


