Foto: Klimaentscheid Lüneburg.

Im Gespräch mit Annika Joeres: „Klimaschmutz-Lobby“ – so sabotieren Konzerne Klimaschutz

Industrielle Interessenverbände nehmen weltweit Einfluss auf Politikerinnen und Politiker, um Gesetze nach ihrem Gusto formulieren zu lassen. So auch in Deutschland, wie Autorin Annika Joeres bei der Veranstaltung am 29. September 2023 verdeutlichte. Als „gesellschaftlich akzeptierte Korruption“ bezeichnete sie den gängigen Lobbyismus.


Mitteilung von: Klimaentscheid Lüneburg – Am: 10.10.2023
Online: https://klimaentscheid-lueneburg.de/ – Foto: Klimaentscheid Lüneburg. 


Wie mächtige Konzerne Klimaschutz sabotieren – Lesung und Gespräch mit Annika Joeres

Vor 70 Gästen las die Klimajournalistin Annika Joeres (links). Moderiert wurde der Abend der Reihe „Klima.Wandeln.Hier“ von Marie-Luise Braun (rechts).

Weil sie wissen wollte, warum es mit der Klimakrise so weit kommen konnte, begann Annika Joeres vor einigen Jahren, ihre journalistische Arbeit vor allem diesem Thema zu widmen. Heute ist sie eine von Deutschlands bekanntesten Klima-Journalistinnen. In der Reihe „Klima.Wandeln.Hier“ war sie am 29. September 2023 zu Gast im Museum Lüneburg.

Thematischer Schwerpunkt war ihr vor drei Jahren erschienenes Buch „Die Klimaschmutzlobby. Wie Politiker und Wirtschaftslenker die Zukunft unseres Planeten verkaufen“. An Aktualität verloren hat es seither nicht.

Interessenverbände nehmen Einfluss auf die Gesetzgebung – auch in Deutschland

Immer noch – und offenbar stärker als je zuvor – nehmen industrielle Interessenverbände weltweit Einfluss auf Politikerinnen und Politiker, um Gesetze nach ihrem Gusto formulieren zu lassen. So auch in Deutschland, wie Annika Joeres bei der Veranstaltung verdeutlichte.

Ein Beispiel: Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Diese von Arbeitgeberverbänden finanzierte Lobbyorganisation ist einer der mächtigsten Bremser von Klimaschutzmaßnahmen in Deutschland. Durch ihren Einfluss wurde und werde verhindert, eine adäquate Bepreisung von Kohlendioxid – und der durch das klimaschädliche Gas verursachten Schäden – durchzusetzen, so Joeres.

Vernetzt sei die Initiative INSM unter anderem mit Klimaleugnern in den USA. Vor wenigen Jahren veröffentlichte die Initiative unter dem Titel „Zwölf Fakten zum Klimaschutz“ teilweise falsche Behauptungen über die Klimakrise. Diese würden in öffentlichen Diskussionen – und auch von den Medien – teils ungeprüft übernommen.

Verschiedene Strategien am Werk

Eine der Strategien ist, so Joeres, dass eigene Studien in Auftrag gegeben werden. So wollte die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft zum Beispiel die Notwendigkeit der Nord Stream Pipelines belegen.

Lobbyisten – aber auch Politikerinnen, Politiker und Staatssekretäre – säen Zweifel an Erkenntnissen seriöser Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, um unerwünschte Gesetze zu verhindern. Sie sorgen dafür, dass Studien, die ihren Zielen widersprechen, geheim gehalten oder klein geredet werden. Ein weiterer Weg: Zunächst verständlich und übersichtlich formulierte Gesetze werden verkompliziert.

Kontaktpflege mit der Politik

Gerade Politiker und Politikerinnen, die kein Interesse an Klimaschutzmaßnahmen haben, sind für Lobbyisten interessant. Sie pflegen gute Kontakte zu Staatssekretären, Abgeordneten und Ministern, um direkt Einfluss auf ihre Arbeit nehmen zu können.

Nicht zuletzt ermöglichen sie Politikerinnen und Politikern nach Ablauf ihrer Mandate bestens dotierte Posten in Unternehmen.

Lobbyismus als „gesellschaftlich akzeptierte Korruption“

Diejenigen, die sich für Umwelt- und Klimaschutz einsetzen, kämen dagegen nicht an. Annika Joeres nennt dazu Zahlen: „Klimaschmutz-Lobbyisten steht das Zehnfache des Geldes zur Verfügung wie Umweltschutzverbänden“, sagt die 45-Jährige. Konzerne haben für diese Beeinflussung ein Budget von mehreren Millionen Euro, so zeigt es das Buch.

Auf die Frage aus dem Publikum, wie das alles sein könne in einer Demokratie, sagte Joeres: „Lobbyismus ist gesellschaftlich akzeptierte Korruption.“

Beispiel: „Schweigegeld“ für Wasserverschmutzung in Frankfurt/Oder

Dass Industrieunternehmen auch über Verträge mit Städten Einfluss auf Umwelt- und Klimaschutz nehmen, hat Annika Joeres mit Kolleginnen wenige Tage vor ihrer Lesung in Lüneburg aufgezeigt.

Für das unabhängige Recherchezentrum Correctiv verfasste sie einen Bericht über fünf Millionen Euro Schweigegeld für die Stadt Frankfurt/Oder. Damit habe der Lausitzer Energiekonzern Leag die Stadt dazu gebracht, nicht mehr über die beim Kohleabbau verursachte Wasserverschmutzung zu sprechen. Auch eine Klage der Stadt gegen die Genehmigungen des Landesamts für Bergbau sei daraufhin zurückgezogen worden.

Doch der Tagebau in der Lausitz gefährde die Trinkwasserversorgung von Brandenburg und Berlin. Joeres wies darauf hin, dass der Kohleabbau 50-mal so viel Wasser benötige wie das neue Tesla-Werk in Brandenburg.

  • Correctiv: Verschmutztes Wasser – Kohlekonzern zahlt Schweigegeld – 23.09.2023
    „René Wilke darf nie wieder öffentlich darüber sprechen, wie der Bergbau das Trinkwasser in seiner Stadt bedroht. Der Bürgermeister von Frankfurt an der Oder hat gemeinsam mit drei umliegenden Städten und der Frankfurter Wasser- und Abwassergesellschaft FWA einen Vergleich mit dem Kohlekonzern Leag geschlossen, der CORRECTIV exklusiv vorliegt. Dass die Bevölkerung bislang nichts davon weiß, hat einen triftigen Grund: Es ist eine vertragliche Schweigevereinbarung – im Gegenzug zahlt die Leag fünf Millionen Euro für das Wasserwerk Müllrose.“ – Von Annika Joeres, Elena Kolb und Katarina Huth.

Klagen als erfolgreicher Baustein

Ob Klagen ein erfolgreicher Weg seien, um dafür zu sorgen, dass Politikerinnen und Politiker endlich wirksamen Klimaschutz in die Wege leiten würden, fragte ein Gast. „Sie sind ein Baustein, um dieses Ziel zu erreichen“, antwortete Joeres und verwies auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von April 2021.

Damals hatten die Richter der Bundesregierung bescheinigt, dass die Klimaschutzgesetze verfassungswidrig seien und sie dazu aufgefordert, wirksame Instrumente zu formulieren.

Menschen scheuen Veränderungen – gute Erfahrungen können überzeugen

Als Grund, warum so wenig für den Klimaschutz getan werde, nannte Moderatorin Marie-Luise Braun: „Weil wir Menschen Angst haben vor Veränderungen.“ Menschen hielten eher an dem fest, was sie kennen, statt sich für neue Möglichkeiten zu öffnen. Sobald es darum gehe, Maßnahmen für einen klimafreundlichen Verkehr in die Wege zu leiten, würden viele Menschen protestieren.

Wenn diese Maßnahmen umgesetzt seien, gebe es diesen Protest nicht mehr und die Menschen genießen die bessere Lebensqualität. Umso wichtiger seien Politikerinnen und Politiker, die vorübergehenden Gegenwind in der Mobilitätswende aushielten.

Blick ins neue Buch zum Abschluss

Am Ende stellte Joeres noch das Buch „Durstiges Land. Wie wir leben, wenn das Wasser knapp wird“ vor, das sie gemeinsam mit Susanne Götze am 1. August 2023 veröffentlicht hatte.

Darin werden zwei Szenarien vorgestellt: Wie Menschen leben werden, wenn wir einfach so weiter machen. Und wie sie leben werden, wenn wir Klimaschutz endlich ernst nehmen. „Wir wollten auch gern mal ein Buch schreiben, mit einem optimistischen Ausblick“, erläutert Joeres.

Information: Annika Joeres

1978 in Herten geboren, lebt die Klima-Journalistin Annika Joeres heute in Südfrankreich. Dort arbeitet sie unter anderem als Frankreich-Korrespondentin für die Wochenzeitung „Die Zeit“ und für die Rechercheplattform Correctiv. Für ihre journalistische Arbeit wurde sie mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. Joeres ist auch als Autorin tätig und hat gemeinsam mit Susanne Götze drei Bücher über die Klimakrise publiziert.

Mehr Information und Kontakt: Klimaentscheid Lüneburg

Die Veranstaltungsreihe „Klima.Wandeln.Hier“ ist eine Kooperation von: Klimaentscheid Lüneburg, agentur wortgewandt, Stiftung Leben & Umwelt/Heinrich-Böll-Stiftung Niedersachsen, 23grad e.V. und JANUN Lüneburg e.V.

Lünepedia: Klimaentscheid Lüneburg

Die Initiative “Klimaentscheid Lüneburg” wurde 2020 gegründet und hat 2021 ein erfolgreiches Bürgerbegehren organisiert mit dem Ziel, dass Lüneburg bis 2030 klimaneutral wird. Der Klimaentscheid vertritt damit die Forderungen von weit mehr als 8.000 Lüneburger:innen. Zudem wird der Klimaentscheid unterstützt von ca. 50 regionalen Unternehmen, Institutionen und Initiativen, z. B. der Voelkel GmbH, dem NABU Lbg. und dem Arbeitskreis „Laudato si“ der Kirchengemeinde St. Marien.

Weiterlesen: https://www.luenepedia.de/wiki/Klimaentscheid


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