Manuela Liekefeld trägt eine Armprothese und arbeitet wieder bei Kaufland. Neben ihr: Kauflands Hausleiter Jörg Dittmer. Foto: Carolin George.

„Keine Berührungsängste!“ – Bericht vom ersten Aktionstag „Arbeit inklusiv“

„Ein Handicap sagt nichts darüber aus, welche Leistungskraft jemand hat und wie sich jemand integriert“, erklärte Sven Flecke, Geschäftsführer der Green Eagle Golfcourses in Luhdorf, beim ersten Aktionstag „Arbeit inklusiv“ am 29. August 2024 im Museum Lüneburg. Fast 350 Menschen informierten sich über Chancen und Unterstützungsmöglichkeiten einer inklusiven Arbeitswelt.


Mitteilung von: Arbeitskreis Arbeit / Lebenshilfe Lüneburg-Harburg gGmbH – Am: 30.08.2024
Online: https://www.lhlh.org/ – Foto: Carolin George im Auftrag des Arbeitskreises Arbeit


„Keine Berührungsängste!“ – Bericht vom Aktionstag „Arbeit inklusiv“ am 29. August 2024

Rechts stehen Manuela Liekefeld und Jörg Dittmer, Hausleiter von Kaufland. Liekefeld trägt eine Armprothese und arbeitet wieder bei Kaufland. Foto: Carolin George im Auftrag des Arbeitskreises Arbeit

„Mein Ratschlag: keine Berührungsängste! Einfach mal entspannt bleiben.“ Das sagte Sven Flecke, Geschäftsführer der Green Eagle Golfcourses in Luhdorf, beim ersten Aktionstag „Arbeit inklusiv“ am 29. August 2024 im Museum Lüneburg.

„Ein Handicap sagt nichts darüber aus, welche Leistungskraft jemand hat und wie sich jemand integriert. Ich garantiere: Wer unser Greenkeeping-Team besucht, wird nicht sehen, wer Alino ist. Für uns ist er ein ganz normaler Mitarbeiter.“ Alino ist von der Lebenshilfe Lüneburg-Harburg als Praktikant zu Green Eagle gekommen und geblieben. Flecke: „Die größte Qualifikation ist seine Einstellung zur Arbeit und zum Leben.“

„Plädoyer fürs Unbequeme“: Auch Betriebsklima profitiert

Das bestätigte Karin Haas vom Arbeitgeberverband Lüneburg-Nordostniedersachsen. „Das Betriebsklima profitiert von inklusiver Beschäftigung“, sagte sie. „Es müsste viel mehr Offenheit geben.“

Timm Duffner ging noch weiter. „Ich halte hier ein Plädoyer fürs Unbequeme“, sagte der Geschäftsführer des Müsliherstellers Heyho. Seine GmbH beschäftige etliche Leute mit sogenannten multiplen Vermittlungshemmnissen. „Wir rösten Müsli, um Menschen einzustellen, nicht umgekehrt. Wir sollten uns von den Bedürfnissen der Unternehmen verabschieden und uns auf den Menschen konzentrieren. Wenn ich mich herauswage aus der Komfortzone, ist das viel erfüllender. Wir unterstellen einander Gutes.“

Leuphana Universität: Lernen aus Erfolgen

Von der Leuphana Universität war Professor Oliver Genschow beim Aktionstag zu Gast. Er leitet das interdisziplinäre Projekt „Sozial-innovative Transformation durch inklusive Arbeitswelten“. Die Wissenschaftler:innen gehen der Frage nach: „Wie können wir es schaffen, Menschen mit multiplen Vermittlungshemmnissen in Arbeit zu bekommen?“ Denn fast die Hälfte der Arbeitssuchenden zähle zu dieser Gruppe. Dafür arbeite die Universität unter anderem mit Firmen wie dem Müslihersteller Heyho zusammen.

Werkzeugkoffer für Unternehmen entwickeln

„Von ihren Erfahrungen wollen wir Erfolgsfaktoren und Barrieren ableiten.“ In zwei Jahren wird das Projekt abgeschlossen sein, dann soll es eine Art Werkzeugkoffer für Unternehmen geben.

Schon jetzt fanden die Forscher heraus: Menschen sind bereit, mehr Geld für Produkte aus inklusiver Produktion auszugeben. Und eines ist laut Genschow unbedingt nötig: „Soziale Transformation muss aktiv gestaltet werden.“

Integrationsamt und NBank versprechen unbürokratische Unterstützung

Über die Möglichkeit der Förderung von Arbeitsplätzen und Investitionen informierten Rolf Gollnick, Joachim Weigelt und Ralf Schäfer von Integrationsamt und NBank. So kann es zum Beispiel Zuschüsse geben bei der Einstellung von Arbeitnehmenden und Auszubildenden mit Schwerbehinderung und für die Einrichtung von entsprechenden Arbeits- und Ausbildungsplätzen. Auch über die Gründung eines Inklusionsbetriebs oder einer Inklusionsabteilung wurde informiert.

Gollnick rief Arbeitgebende dazu auf, sich mit ihren Fragen an die beiden Institutionen zu wenden. „Wir versprechen unbürokratisches Handeln.“

  • Integrationsamt Niedersachsen: https://soziales.niedersachsen.de/ 
    Das Integrationsamt fördert und sichert die berufliche Eingliederung von schwerbehinderten Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt, berät schwerbehinderte Menschen und ihre Arbeitgeber bei der Schaffung und Sicherung der Arbeitsplätze und gewährt finanzielle Leistungen an schwerbehinderte Menschen und Arbeitgeber.
  • NBank Niedersachsen: https://www.nbank.de/Förderprogramme/
    Die NBank unterstützt inklusives Arbeiten mit Förderprogrammen.

Individuelle Wege zur inklusiven Arbeit: Beispiele aus der Region

Beispiel: Kaufland

Manuela Liekefeld berichtete, wie sie nach der Geburt ihres Kindes aufgrund einer Lungenentzündung ins künstliche Koma versetzt wurde und mit einer schwarzen Hand aufwachte. „Die Entscheidung war: Amputation oder sterben“, sagte sie. Heute trägt sie eine Armprothese und arbeitet wieder bei Kaufland.

„Uns war immer klar: Gemeinsam finden wir einen Weg“, sagte Kauflands Hausleiter Jörg Dittmer. Ulla Sievers vom Integrationsfachdienst erzählte, wie sie Manuela Liekefeld in dem Prozess begleitete. „Auch das ist ein Teil unserer Arbeit: Psychosoziale Betreuung.“

Beispiel: New-York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie

Von der New-York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie war Vorstand Bernd Menzel beim Aktionstag. „Die Möglichkeit, Menschen von der Lebenshilfe im eigenen Betrieb zu beschäftigen, ist viel zu wenig bekannt“, machte er deutlich. Er habe zunächst Vorbehalte aufgrund der Arbeitssicherheit gehabt. Nun beschäftigt er seit etwa einem Jahr eine Arbeitsgruppe der Lebenshilfe Lüneburg-Harburg in der Kammverpackung. „Der Einzige, der sich umstellen musste, ist der Befüller des Kaffeeautomaten“, sagte er mit einem Augenzwinkern.

Andere Betriebe ruft er dazu auf, sich ebenfalls mit dem Thema auseinanderzusetzen. „Ich bin ziemlich sicher, es klappt immer.“ Wer sich vor Ort davon überzeugen lassen möchte, könne gern in der Otto-Brenner-Straße zu Besuch kommen.

Tanja Brose gehört zur Arbeitsgruppe der Lebenshilfe. Sie erzählte: „In der Werkstatt war es mir zu laut, ich konnte mich dort nicht auf die Arbeit konzentrieren. Hier gefällt es mir, ich komme ich gut gelaunt zur Arbeit und fahre gut gelaunt wieder nach Hause.“

Beispiel: Bäcker Kruse

So zufrieden wie noch in keinem anderen Job ist auch Karina Moritz, die bei Bäcker Kruse – Der Lecker Bäcker arbeitet. 2020 bekam sie die Diagnose Autismus. „Seitdem weiß ich, wieso ich so bin“, erzählte sie. „Ironie ist bei mir verloren, und bei nonverbalen Signalen brauche ich schon einen Holzhammer.“

Geschäftsführerin Hanna Kruse zeigte sich dankbar für die Unterstützung durch den Integrationsfachdienst (IFD): „Uns wurden viele Gespräche abgenommen, das ist wirklich toll. So konnten Kleinigkeiten schnell aus der Welt geschafft werden.“ Das IFD-Team gab außerdem den Tipp, den Antrag auf Gleichstellung zu stellen. Da dieser erfolgreich war, erhält der Betrieb nun einen Lohnkostenzuschuss durch das Integrationsamt.

Beispiel: Maschinenbauer Salmatec aus Gödenstorf

Timo Müller vom Gödenstorfer Maschinenbauer Salmatec berichtete, wie Mitarbeiter Jens Kämmerer die Diagnose Multiple Sklerose bekam. „Er hatte das bei uns zunächst gar nicht kommuniziert, weil er nicht die Notwendigkeit sah.“ Später aber habe der Schweißer gemerkt, dass er seine Arbeit nicht mehr wie gewohnt ausführen kann. „Ihm fehlte die Kraft.“

Jetzt ist sein Arbeitsplatz auf ihn angepasst: Das Bauteil ist drehbar, der Schweißtisch höhenverstellbar. „Wir hatten erst an einen Arbeitsplatz im Büro gedacht, aber das wollte er auf keinen Fall. Da war es wichtig, zuzuhören und ihm einen Arbeitsplatz zu ermöglichen, der ihm Spaß macht. Wir möchten dazu ermutigen, es zu versuchen. Es muss nicht beim ersten Mal klappen, manchmal braucht es eben einen zweiten Versuch.“

Als Arbeitgeber müsse man sich an die eigene Nase fassen, wenn etwas nicht gut laufe. „Am Ende geht es immer um Kommunikation.“ Finanzielle Förderung erhält Salmatec vom Integrationsamt für die laufenden Lohnkosten, außerdem bezuschusste das Amt die Investitionen am Werktisch.

Freude über große Resonanz – Fortsetzung geplant

Initiiert hatte den ersten „Aktionstag Arbeit inklusiv“ der Arbeitskreis Arbeit des Sozialpsychiatrischen Verbundes Lüneburg. „Arbeit mit Beeinträchtigung wird ein Thema der Zukunft sein“, sagte Karin Kremeike aus dem Organisationsteam. „Auch darüber wollen wir reden. Denn angepasste Arbeitsplätze können ein Teil der Lösung des Arbeitskräftemangels sein.“

20 Institutionen haben sich zusammengetan, um die erste Veranstaltung dieser Art in der Region auf die Beine zu stellen, darunter sind die Arbeitsagentur Lüneburg-Uelzen, das Jobcenter der Landkreise Lüneburg und Harburg, der Integrationsfachdienst (IFD) Lüneburg und viele weitere.

Erste Kreisrätin Yvonne Hobro als Schirmherrin – und fast 350 Interessierte

Lüneburgs Erste Kreisrätin Yvonne Hobro hatte die Schirmherrschaft über den Aktionstag übernommen und dankte in ihrer Begrüßung all den Betrieben, die Menschen mit Handicap in ihren Teams willkommen heißen. „Inklusion ist nicht nur eine Vision, sondern kann auch Realität sein.“

Fast 350 Menschen hatten den Weg zum Aktionstag gefunden. „Wir sind total überwältigt“, sagte Melanie Hasse aus dem Planungsteam zum Abschied. Einziger Wehrmutstropfen: „Wir hätten uns gewünscht, dass noch mehr Arbeitgebende gekommen wären. Schließlich werden die meisten Behinderungen erst im Laufe des Lebens erworben.“ Vielleicht geht ihr Wunsch ja nächstes Jahr in Erfüllung. Denn aufgrund des großen Erfolgs soll der Aktionstag nächstes Jahr wieder stattfinden.

Arbeitskreis Arbeit: Mehr Information und Kontakt

  • Ansprechpartnerin Arbeitskreis Arbeit: Katja Zobel, Lebenshilfe Lüneburg-Harburg gemeinnützige GmbH, Bereichsleitung Werkstätten
    Telefon: 04131 301 879 – E-Mail k.zobel@lhlh.org
  • Lebenshilfe Lüneburg-Harburg: https://www.lhlh.org/
  • Integrationsamt Niedersachsen: https://soziales.niedersachsen.de/ 
    Das Integrationsamt fördert und sichert die berufliche Eingliederung von schwerbehinderten Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt, berät schwerbehinderte Menschen und ihre Arbeitgeber bei der Schaffung und Sicherung der Arbeitsplätze und gewährt finanzielle Leistungen an schwerbehinderte Menschen und Arbeitgeber.
  • NBank Niedersachsen: https://www.nbank.de/Förderprogramme/
    Die NBank unterstützt inklusives Arbeiten mit Förderprogrammen.
Foto: Carolin George im Auftrag des Arbeitskreises Arbeit. Das Orga-Team des Aktionstages: Das Orga-Team des Aktionstags. Von links: Maria Zils, Izabell Heinitz, Melanie Hasse, Lore Eylmann, Bernd Dörgeloh, Karin Kremeike, Kirsten Hohn, Katja Zobel, Madlen Hiller, Anke Dierssen.

Freuen sich über die erfolgreiche Veranstaltung und den guten Besuch: Das Orga-Team des Aktionstags. Von links: Maria Zils, Izabell Heinitz, Melanie Hasse, Lore Eylmann, Bernd Dörgeloh, Karin Kremeike, Kirsten Hohn, Katja Zobel, Madlen Hiller und Anke Dierssen. Foto: Carolin George im Auftrag des Arbeitskreises Arbeit.

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