Lüne-Stream: Livestream aus Rat und Kreistag – Michèl Pauly im Interview
Von Juni 2023 bis Februar 2024 berichtete Lüne-Stream regelmäßig per Livestream aus dem Lüneburger Rat. Nun hat die Initiative angekündigt, die Sitzung des Kreistags am 6. Juni 2024 in Dahlenburg per Livestream zugänglich zu machen. Darf sie das? In Form eines Interviews erläutert Michèl Pauly die Hintergründe und die rechtliche Situation.
Mitteilung von: Initative Lüne-Stream – Am: 04.06.2024
Online: https://luene-stream.de/ – Grafik: Lüne-Stream.
Lüne-Stream: Für Transparenz, Teilhabe und eine starke Demokratie
Lüne-Stream ist eine bürgerschaftliche Initiative, die Transparenz, Inklusion und Teilhabe in der Lüneburger Stadtgesellschaft stärken und das demokratische Miteinander fördern will. Von Juni 2023 bis Februar 2024 berichtete Lüne-Stream regelmäßig per Livestream aus dem Lüneburger Rat. Inzwischen begleitet die Hansestadt ihre Sitzungen selbst per Livestream.
Die Initiative Lüne-Stream hat angekündigt, die kommende Sitzung des Kreistages am 6. Juni 2024 in Dahlenburg per Livestream zugänglich zu machen – hilfreich für alle, die die Sitzung verfolgen möchten, aber nicht nach Dahlenburg kommen können.
Koordiniert wird die Initiative vom ehemaligen Stadtratsmitglied Michèl Pauly. Im Interview berichtet er über seine Beweggründe, über Hürden und rechtliche Zusammenhänge.
- YouTube: Lüne-Stream – https://www.youtube.com/@luene-stream/streams
- Mehr Information und Kontakt: https://luene-stream.de/
Livestream zur Sitzung des Kreistags am 6. Juni 2024 in Dahlenburg
Herr Pauly, Sie haben angekündigt, die nächste Sitzung des Kreistags am 6. Juni 2024 in Dahlenburg per Video zu streamen. Zuvor hatten Sie bereits in Ratssitzungen gefilmt. Sie sind ja ehrenamtlich tätig. Warum machen Sie das?
Ich würde die Arbeit für Lüne-Stream als Hobby bezeichnen. Wie bei der Arbeit im Rat selbst, dem ich ja 11 Jahre angehörte, finde ich Transparenz sehr wichtig. Das Streaming, also die ungefilterte Wiedergabe des Sitzungsverlaufs, kann dazu einen Beitrag leisten.
Außerdem folge ich selbst gerne der Kommunalpolitik. Aber das geht nicht immer. Ein Beispiel: Als ich in Elternzeit war, kollidierte die Bettroutine mit den Sitzungszeiten. Einmal war mir das Thema so wichtig, dass ich meine Tochter, damals noch kein Jahr, in den Zuschauerraum mitbrachte. Es ging um die Wahl des Jugendreferenten, zuständig auch für die Kitas. Anwesende störten sich an meiner Tochter, weil sie gerade brabbelte. Ich wurde hinauskomplimentiert – konnte der Sitzung nicht folgen.
Streaming als Beitrag zur Transparenz
Ich glaube das war der Moment, als ich den Entschluss fasste: Du sorgst dafür, dass der Rat übertragen wird. Denn dass wie bei mir die Lebensumstände einen Besuch nicht immer zulassen, so geht es ja vielen. Für sie, aber auch für mich, wollte ich die Möglichkeit schaffen, der Sitzung von zu Hause aus und auch im Nachgang zu folgen.
Pressefreiheit als Grundrecht – Erlaubnis in der Hauptsatzung von Hansestadt und Landkreis
Bild- und Tonaufnahmen dürften nur mit expliziter Erlaubnis der Gefilmten angefertigt werden, so der Landkreis. Das Procedere sei dabei nicht unaufwändig und nehme durchaus Zeit in Anspruch. Wie schaut denn der juristische Hintergrund dabei aus, darf man so etwas überhaupt?
Dass man eine Person nur filmen darf, wenn diese Person es aktiv erlaubt, ist ein Mythos. Grundsätzlich gilt die Pressefreiheit und es ist zunächst erlaubt, was nicht per Gesetz und gut begründet verboten ist. Das Niedersächsische Kommunalverfassungsgesetz regelt, dass die Sitzungen von Räten und Kreistagen gefilmt werden dürfen, wenn dies in der jeweiligen Hauptsatzung erlaubt wird. Das ist seit Jahren in Stadt und Kreis der Fall – also Haken dran.
Stopp der Aufzeichnung problemlos
Dann gibt es die Möglichkeit, dass Mitglieder des Rats oder Kreistags verlangen können, dass sie nicht aufgenommen werden. Das verstehe ich übrigens auch, denn diese ehrenamtlichen Mandate sollten nicht nur exklusiv für diejenigen sein, die sich vor Kameras wohlfühlen.
Wer eher schüchtern ist, sich unsicher fühlt und sich nicht gerne aufgenommen sehen will, sollte ungehemmt teilhaben können. Das gewährleistet Lüne-Stream. Und das ist viel einfacher, als man denkt: Während der Übertragung kann ich eine Taste drücken, dann werden die Mikros stummgeschaltet und statt des Livebilds gibt es eine Einblendung „Die Rednerin/der Redner will nicht gefilmt werden.“ Nach dem Redebeitrag drücke ich eine andere Taste und es geht weiter.
Nach der Anfangsphase gaben die meisten Ratsmitglieder ihre Zustimmung
Welche Erfahrungen haben Sie denn in Lüneburg damit gemacht?
Von dieser Möglichkeit, nicht selbst gefilmt zu werden, haben im Lüneburger Rat anfangs sehr viele Ratsmitglieder, ich meine sogar, die Hälfte aller Mitglieder, Gebrauch gemacht. Nach 2 bis 3 Monaten jedoch niemand mehr. Im Gegenteil: Später kamen die Mitglieder auf mich zu und fragten, ob ich ihnen diese oder jene Stelle der Debatte mal heraussuchen könnte, sie wollten es nachhören oder verwenden. Das hat sich also komplett gedreht.
Technisches Equipment: Smartphone als Minimal-Ausstattung
Auch die Technik will dabei bedacht werden. Wie sind Sie denn ausgerüstet?
Vereinfacht heruntergebrochen, braucht man für einen Stream eine Kamera, ein Mikrofon und ein Endgerät, das ins Internet überträgt. Faszinierenderweise ist all das praktisch in jedem Smartphone enthalten. Kamera an, Mikro ein und mobile Daten anstellen – und ab ins Internet. Das wäre die minimale Konfiguration. Dabei müssten man allerdings nah heran ans Redepult, würde dort auch zu präsent sein.
Kamera, Mikrophon, Schnittprogramm und Router
Daher habe ich mich für einen etwas anderen Standard entschieden: Eine videofähige Systemkamera – das ist ein Mittelklassemodell von Canon – ein Teleobjektiv und ein kleines Mischpult. Das nimmt den Ton von zwei eigenen Mikrofonen. Alternativ lässt sich das fertig gemischte Signal aus dem Saal nutzen. Denn wo Redebeiträge über Lautsprecher ausgegeben werden, gibt es ja schon Mikrofone. Darauf lässt sich zurückgreifen.
Dazu kommt dann ein Notebook mit einem Schnittprogramm, ein Router für mobile Daten und entsprechende Kabel. Als Hobbyfotograf hatte ich einiges an Technik bereits und das Livestreaming kannte ich auch schon aus der Corona-Zeit. Wobei ich gestehe, dass mancher technische Wunsch einfach am Geld scheitert, wenn man das Equipment selbst mitbringt: Durchaus wünschenswert wäre eine zweite oder dritte Kamera, ein Bildmischpult, um verschiedene Einstellungen gleichzeitig zu filmen, und auch ein besserer Standard der Kabel, um Wackelkontakte zu vermeiden.
Ton aufwändiger zu realisieren als das Bild
Ich habe gelernt, dass das Bild oft leichter zu realisieren ist als der Ton. Es hat schon seinen Grund, warum es Tontechniker für solche Veranstaltungen gibt. Ich bin daher immer dankbar, wenn ich ein fertiges Tonsignal bekomme und dann vielleicht nur noch den Pegel einstellen muss.
Das wurde mir im Rat anfangs noch versagt, weil es nicht ginge, technisch unmöglich. Nach einem personellen Wechsel in der Verwaltung gab man mir ein Kabel für mein Mini-Mischpult – und es ging. Das Kabel anzuschließen, dauert etwa 2 Sekunden, die Tonprobe etwa eine Minute. Auch hier: Oft sind die Dinge gar nicht so kompliziert, wie es scheint, es fehlt nur am Willen.
Lüneburg: Zunächst Drohung mit Rechtsmitteln
Im Rat kam anfangs sogar noch hinzu, dass mir mit allen möglichen Rechtsmitteln gedroht wurde. Aus der Stadtpressestelle drohte man mir – vor laufender Kamera und bei laufendem Mikro – mit Ärger. Ich sollte sofort aufhören zu filmen. Das Rechtsamt forderte eine Löschung und drohte mit teuren Verfahren. Einzelne Personen behaupteten, ich würde etwas Illegales tun, weil Rufe oder mal ein Hinterkopf irgendwo zu sehen seien.
Streamen in dieser Form: Rechtlich abgesichert
Hier wog aus unserer Sicht das Berichtsinteresse aber schwerer. Diese extreme Abwehrhaltung zwang uns natürlich, uns juristisch nochmal abzusichern. Das taten wir – mit einigem Aufwand. Für das Streamen bekamen wir ja schon kein Geld. Aber dann auch noch teure Verfahren angedroht zu bekommen, war eine ganz besondere Erfahrung.
Am Ende war klar – und das wird übrigens auch nicht mehr bestritten – dass das Streamen in dieser Form in Ordnung ist. Wer in einer öffentlichen Sitzung im Hintergrund kurz zu sehen oder zu hören ist, ist halt Beiwerk, wie auch Menschen, die neben Demos laufen, usw.
Kreistag: Zunächst ähnliche Reaktionen
Es wäre gut, wenn sich nicht all diese Auseinandersetzungen im Kreistag wiederholten. Die erste Rückmeldung war leider genau von dieser Abwehrhaltung geprägt. Denn es meldete sich ein Fraktionsvorsitzender und erklärte, er spreche im Namen aller seiner Abgeordneten: Von seiner Fraktion dürfe niemand gefilmt werden. In einer weiteren Mail wurden dann auch gleich Rechtsmittel angedroht und das BGB bemüht.
Ich bleibe aber optimistisch: Nach einiger Zeit kann jeder und jede sehen, wie das Endprodukt Stream tatsächlich aussieht. Dann werden die meisten die Bedenken fallenlassen und es akzeptieren, gefilmt zu werden. Oft ist es auch für die eigene politische Arbeit hilfreich, nochmal nachvollziehen zu können, wer genau was gesagt hat. Aber wenn jemand sagt, ich selbst will nicht gefilmt werden, wird das selbstverständlich akzeptiert.
Von der Verwaltung habe ich bisher leider keine Rückmeldung erhalten, ob ich ein Tonsignal übergeben bekomme. Gut möglich, dass sich die Erfahrung aus dem Rat wiederholt und wir mit eigenen Mikros und entsprechend schlechterer Qualität beginnen müssen. Dafür bitte ich prophylaktisch um Verständnis.
Viel Dankbarkeit erfahren
Haben Sie auf das Streaming der Lüneburger Ratssitzungen hin irgendwelche Rückmeldungen aus Politik und Stadtgesellschaft erhalten? Wie haben die Leute reagiert?
Neben den Abwehrreaktionen von Teilen der Verwaltung und Teilen des Rates habe ich viel Dankbarkeit erfahren. Viele wollten die eigenen Beiträge nochmal anschauen. Und andere, vor allem Menschen, die in Vereinen oder Verbänden aktiv waren, wollten die Debatte zu genau einem bestimmten Tagesordnungspunkt nachverfolgen. Sie waren dankbar, nicht vier Stunden im Sitzungsraum verbringen zu müssen, nur um dann vielleicht zu erleben, dass der Tagesordnungspunkt auf die nächste Sitzung verschoben wird.
Ein Pressevertreter hatte sich immer recht abschätzig zu dem Stream, der Qualität und den Besucherzahlen geäußert. Aber mindestens einmal war es so, dass er nicht vor Ort war und über die Ratssitzung im Nachgang nur berichten konnte, weil es eben diesen Stream gab. Das zeigt, wofür der Stream da ist: Für Menschen die gerne ungefiltert den Sitzungsverlauf verfolgen möchten, es aber zeitlich oder räumlich nicht schaffen.
Durchaus zufrieden mit Zugriffszahlen
Im Übrigen bin ich mit den Zugriffen – es sind zwischen 100 und 500 – ehrlich gesagt ganz zufrieden. Auch wenn vielleicht nicht alle alles anschauen, bedeutet das, dass rund um die 50 Menschen ihrem kommunalen Gremium regelmäßig folgen.
Diese Menschen könnten sich sonst nur aus der Berichterstattung informieren. Die kann jedoch naturgemäß nie den gesamten Sitzungsverlauf wiedergeben. Insofern, finde ich, lohnen sich diese Filmaufnahmen auch für sehr wenige Personen. Und so teuer, wie einige das darstellen, ist es ja schließlich auch nicht.
- YouTube: Lüne-Stream – https://www.youtube.com/@luene-stream/streams
- Mehr Information und Kontakt: https://luene-stream.de/
Lünepedia: Lüne-Stream
Lüne-Stream ist eine im Mai 2023 gegründete ehrenamtliche Initiative von Lüneburger Bürger*innen und produziert Sendungen und Videos zu lokalen und regionalen Themen.[1] Lüne-Stream stellt Live-Streams und Aufzeichnungen von Sitzungen des Lüneburger Rats bereit. Lüne-Stream ist Teil des Zukunftsrats Lüneburg e.V. und von Lebendiges Lüneburg.
Weiterlesen: https://www.luenepedia.de/wiki/Lüne-Stream
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Chapeau, Michèl!
Ich finde Du hast Dir hier wirklich mit Deiner grundständigen Arbeit und Deinem Durchhaltevermögen mindestens einen Ehrenamtspreis der Hansestadt verdient. Mit Deinem Einsatz an Zeit, KnowHow und Equipment bist Du in diesem Themenfeld wirklich gut voran gegangen. Und dass die Hansestadt den Livestream nun in die eigene Hand genommen hat, mit weiterhin professioneller Ausstattung und eigenem Geld dafür, gibt Dir vollumfänglich Recht!
Schade nur, dass die Hansestadt Deine Pionierarbeit nicht mit einem Wort, einer Danksagung oder auch nur dem leisesten Signal gewürdigt hat. Ich finde, das gehört nachgeholt – lieber zu spät, als gar nicht!!!
Ich gehöre wohl zu den „50“, die Dein Angebot recht regelmäßig genutzt haben 😉
…ach und: Vielen Dank an LüneBlog für das interessante Interview!