Verwaltungsgericht gibt Lüneburger Kletteraktivistin recht
Sie verletzt keine Rechte, aber will Aufmerksamkeit wecken. Mit dieser Begründung wurde die Lüneburgerin Cécile Lecomte zweimal in die polizeiliche Datenbank aufgenommen und präventiv überwacht. Ihren beiden Klagen dagegen gab das Verwaltungsgericht Hannover am 6. September 2023 recht.
Mitteilung von: Cécile Lecomte – Am: 07.09.2023
Online: https://freiheitsrechte.org/themen/freiheit-im-digitalen/cecile-lecomte – Foto: Pressefoto.
Lüneburger Kletteraktivistin gewinnt Klagen gegen Überwachung durch die Bundespolizei
Am 6. September 2023 nach dreistündiger Verhandlung gab das Verwaltungsgericht Hannover gab der Aktivistin recht: „Klagen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit bundespolizeilicher Maßnahmen erfolgreich. Observation und Fahndung einer Umweltaktivistin waren unzulässig“, schrieb das Verwaltungsgericht über seine Pressemitteilung.
Gegen die Urteile kann die Zulassung der Berufung beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg beantragt werden.
Grund der Klagen: Zwei präventive Überwachungsmaßnahmen der Bundespolizei
Gegenstand der Klagen sind zwei präventive Überwachungsmaßnahmen der Bundespolizei gegen die in Lüneburg lebende französische Aktivistin:
- Eine Ausschreibung zur präventiv-polizeilichen Fahndung über mehrere Jahre
- und eine ebenfalls präventive verdeckte Observation (Überwachung) anlässlich des CASTOR-Transportes nach Biblis im Jahr 2020.
Cécile Lecomte: Aktivistin und Kletterin im Rollstuhl
Cécile Lecomte, Spitzname Eichhörnchen, engagiert sich seit vielen Jahren gegen die Atomkraft und in der Klimabewegung sowie für die Rechte von Menschen mit Behinderung. Aufgrund einer Autoimmun-Erkrankung nutzt sie einen Rollstuhl.
Cécile Lecomte gibt Kletterkurse für Menschen mit Behinderung. Sie ist Sprecherin für „Klimagerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ bei der ISL e.V. sowie Trägerin des Nuclear-Free Future Award 2022 Ehrenpreis Kategorie „Besondere Anerkennung“.
Verhandlung am 6. September 2023 in Hannover: Erste Klage wegen verdeckter Observation
Die Verhandlung fand am 6. September 2023 in Hannover statt. Vor der Gerichtsgebäude gab es eine Solidaritätskundgebung. Etwa 20 Menschen wohnte der Verhandlung bei.
Das Gericht befasste sich zunächst mit der verdeckten Observation der Klägerin.
Die Polizei hatte es unterlassen, die Betroffene über die Maßnahme im Nachgang zu unterrichten, obwohl die Unterrichtung gesetzlich festgeschrieben ist. Cécile Lecomte hatte nur durch Zufall bei der Einsicht in eine Akte eines anderen Klageverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Darmstadt davon erfahren.
Klage auf Unterrichtung bereits im Vorfeld gewonnen
Eine erste Klage auf Unterrichtung hatte die Aktivistin bereits im Vorfeld gewonnen. Die Bundespolizei gab im Verfahren um die verdeckte Observation Aktenteile nur widerwillig heraus.
Die Akte belegte schließlich einen tiefen Eingriff in ihrer Privatsphäre: Festgehalten wurden beispielsweise ihre Fahrten zur Krankengymnastik, ihre Kontakte mit anderen Personen, ihre Beteiligung an Demonstrationen.
Worin liegt die Gefahr, die von Frau Lecomte ausgeht?
Vor Gericht ging es um den Gefahrenbegriff. Worin bestand die Gefahr für Leib und Leben, die eine geheime Überwachung nötig machte?
Die Polizei konnte keine konkreten Gefahren für die Allgemeinheit nennen. Begründung für die Maßnahme waren vergangene Kletteraktionen, die allesamt keine strafrechtliche Relevanz hatten. Mangels Gefahr für Leib und Leben der Allgemeinheit nannte die Polizei als Gründe die Gefahr der Selbstverletzung und der möglichen Verletzung von Polizeibeamten bei einer Räumung.
Gericht äußerte Zweifel am Bestehen einer Gefahr
„Einerseits argumentiert die Polizei mit meiner Erfahrung und Expertise und ‚herausgehobenen Stellung‘ in der Protestszene. Andererseits behauptet sie, dass ich mich verletzen kann, weil ich schwerbehindert bin. Das ist zutiefst ableistisch und Unsinn!“, kommentiert die Klägerin.
Das Gericht äußerte schließlich Zweifel am Bestehen einer Gefahr, ohne abschließend darüber zu urteilen. Die Maßnahme wurde für schließlich deshalb für rechtswidrig erklärt, weil mildere Maßnahmen wie eine offene Überwachung zur Verfügung standen.
Zweite Klage: Ausschreibung zur Fahndung
Das Gericht beschäftigte sich anschließend mit der Fahndungausschreibung. Kenntnis davon hatte die Betroffene über ein Auskunftsersuchen bei der Bundespolizei.
Im INPOL-Eintrag stand: „Intensive Prüfung präventiver Maßnahmen zur Verhinderung versammlungstypischer Aktionen, Meldung an BpolD Hannover.“
Darauf hatten Beamt*innen von Bundes- und Landespolizei Zugriff bei der Eingabe der Personalien der Betroffenen im System.
Anwältin: Politische Aktivität ist kein Fahndungsanlass
„Das Einzige, worauf man den Fahndungsbescheid der Polizei stützen kann: Cécile Lecomte ist politisch aktiv und macht versammlungstypische Aktionen. Das zum Anlass für eine Fahndung zu nehmen ist nicht verhältnismäßig“, erklärte Lecomtes Anwältin Anna Luczak
Das Gericht stellte die Rechtswidrigkeit fest. Das Gesetz ermächtige die Polizei weder zur Anordnung der Weitergabe der Daten noch zu Erstellung eines Bewegungsprofils.
Gesellschaft für Freiheitsrechte: Einschüchterung und Verhindern von Protestaktionen als Ziel?
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte, die die Klage gegen die Ausschreibung zur präventiven polizeilichen Fahndung juristisch begleitet, kommentiert den Fall so:
„Seit Jahren warnen viele Organisationen und Wissenschaftler*innen vor den Folgen der ständigen Ausweitung polizeilicher Überwachungsbefugnisse.
Nicht nur verstoßen viele der novellierten Polizeigesetze gegen Grundrechte. Sie werden im Namen der „Terrorismusbekämpfung“ erlassen und am Ende oft zu ganz anderen Zwecken eingesetzt: Wie im Fall von Cécile Lecomte dazu, um Aktivist*innen einzuschüchtern und Protestaktionen zu verhindern.“
Begründung der Bundespolizei: Verletzt keine Rechte, will aber Aufmerksamkeit wecken …
Die Bundespolizei begründete die Ausschreibung zur präventiven Fahndung so – Auszüge aus einem Begründungschreiben:
„[…] ist eindeutig belegt, dass Sie sehr aktiv an Aktionen insbesondere im Themenbereich von Klimaschutz und Anti-Atom tätig sind (Umweltaktivistin). Ihre Art der Beteiligung an den dargestellten Aktionen variiert. Sie achten darauf, dass Sie keine Strafrechtsnormen verletzen. Mit Ihren Aktionen, insbesondere den nicht ganz unspektakulären Kletteraktionen, wollen Sie die Aufmerksamkeit der Allgemeinheit auf sich ziehen.“
- Verwaltungsgericht Hannover – Pressemitteilung: Klagen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit bundespolizeilicher Maßnahmen erfolgreich – 06.09.2023
Mehr Information und Kontakt
- Polit- Kletteraktivistin & freie Journalistin mit Rolli: Blog von Cécile Lecomte
- Gesellschaft für Freiheitsrechte: Überwachung und Abschreckung von Aktivist*innen
Die GFF unterstützt die Umweltaktivistin Cécile Lecomte dabei, unverhältnismäßige Überwachungsmaßnahmen gegen sie abzuwehren. Zweimal wurde die friedliche Aktivistin aufgrund ihrer vermeintlichen Gefährlichkeit in die polizeilichen Datenbank INPOL aufgenommen.
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