„Planen für Laura“: Bericht zur Radverkehrs-Veranstaltung am 23. November 2022
Schnellprogramm zur Anlage von Fahrradstraßen – und planen für Laura: Kann eine 11-Jährige hier entspannt und sicher Rad fahren? Nur dann sollte eine Planung umgesetzt werden. Pragmatisch und überzeugend zeigte sich Radverkehrsexperte Thiemo Graf am 23. November 2022 bei „Lüneburg mobil 2030“.
Mitteilung von: Verkehrswende-Bündnis Lüneburg/FUSS e.V. Lüneburg
Am: 25.10.2022
Foto: i.n.s. – Institut für innovative Städte.
Werkzeugkasten Fahrradstadt
Foto oben: i.n.s. – Institut für innovative Städte. Es geht auch mit einfachen Mitteln. Fahrradstraße Kulturstraße in Freising.
Wie eine Stadt zur Fahrradstadt werden kann, beschrieb Radverkehrsexperte Thiemo Graf am Mittwoch, 23. November 2022, im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Lüneburg mobil 2030“.
Thiemo Graf ist Mitglied im „Beirat Radverkehr“, einem Expertengremium, das das Bundesverkehrsministerium bei der Umsetzung und Weiterentwicklung des Nationalen Radverkehrsplans (NRVP 3.0) unterstützt. Sein Unternehmen begleitet Kommunen, Behörden und Ministerien in strategischen Fragestellungen, übernimmt Planung, Steuerung und Durchführung von Projekten sowie die Qualifizierung von Mitarbeiter:innen.
- Thiemo Graf: „Werkzeugkasten Fahrradstadt“
Video zum Vortrag am 23.11.2022 bei „Lüneburg mobil 2030“ – mehr
Radfahren: Sicher, einfach und bequem
Damit Menschen auf’s Rad umsteigen, so Graf, muss Radfahren schneller, einfacher und bequemer sein als Autofahren. Das muss Ziel der Radverkehrsplanung sein.
Dafür müssen Radwege sichtbar und intuitiv erkennbar sein. Dann laden sie ein, sie zu benutzen. Das lässt sich von Dänemark und den Niederlanden lernen.
Fahrradstraßen: „Anlieger frei“
Fahrradstraßen, so Graf, sind in der Straßenverkehrsordnung glasklar definiert: Fahrräder bestimmen die Geschwindigkeit, Radfahrende dürfen nebeneinander fahren, Tempo 30 – alle anderen Verkehrsregeln bleiben gleich.
Wichtig: „Kfz frei“ entspricht nicht der Definition der Fahrradstraße in der StVO. Dort sollen vor allem Radfahrende unterwegs sein. Nur in Einzelfällen sollten Pkw dort durchfahren mit einem Ziel in der Straße – also „Anlieger frei“.
Er würde „Kfz frei“ nur planen, wenn man mit Modalfiltern, also Barrieren für bestimmte Verkehrsmittel, arbeiten kann oder sicher ist, dass kein Durchgangsverkehr stattfindet. Sonst funktioniert eine Fahrradstraße nicht.
Wichtig auch: Fahrradstraßen sollten über bauliche Maßnahmen oder Markierungen deutlich kenntlich gemacht werden. Alles in allem lassen sich Fahrradstraßen kostengünstig und schnell anlegen, wie Graf bei der anschließenden Diskussion beschrieb.
Alle Planungen müssen den „Laura-Test“ bestehen!
In der – sehr empfehlenswerten! – Begleitbroschüre „Einladende Radverkehrsnetze“ zum Sonderprogramm „Stadt und Land“ des Bundesverkehrsministeriums findet sich ein wichtiger Hinweis für Verkehrsplaner:innen: Planen Sie für Laura!
Kann die 11-jährige Laura hier entspannt und sicher Rad fahren? Setzen Sie nur Maßnahmen um, bei denen die Antwort eindeutig „ja“ lautet!
- Bundesministerium für Digitales und Verkehr:
Leitfaden „Einladende Radverkehrsnetze“ (13.07.2022) – mehr
Aus der Diskussion: Radverkehr und Fußwege, Fahrradstraßen und mehr
Radfahrstreifen: Nur bedingt empfehlenswert – Alternativen für „Laura“ schaffen!
Radfahrstreifen haben klare Nachteile: Pkw fahren tendenziell relativ nah vorbei, der Abstand von 1,50 Metern wird nicht eingehalten. „Keine adäquate Radverkehrsführung“, urteilt Graf. Wenn der Platz nicht da ist, muss man schauen, ob man den Kfz-Verkehr verlagern kann – oder alternative Routen für unsicherere Radfahrende schaffen:
- Ein Radrouten-Netz, das für alle geeignet ist – auch für Laura –
- und daneben die Hauptverkehrsstraßen mit Schutzstreifen oder Radfahrstreifen für die, die sich trauen, dort zu fahren, und für die das ein gutes Angebot ist.
Wie breit sollen Radwege und Fahrradstreifen sein?
Was die Breiten betrifft, sind grundsätzlich die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) einzuhalten. Die dort in Klammern angegebenen Mindestmaße sind nicht mehr anzuwenden, da seien sich Planer und Expertinnen inzwischen einig.
In den Regelwerken ist genau aufgeführt, wie breit Radfahrstreifen sein sollen und wieviel Abstand zu einem stationären Hindernis, also z.B. Poller, eingehalten werden muss. Ein geschützter Radfahrstreifen nimmt in etwa eine Kfz-Fahrspur ein, inklusive der baulichen Trennung.
Ist die Breite nicht da, kommt es auf den Einzelfall an. Geschützte Radfahrstreifen, die mit baulichen Elementen von der Fahrbahn abgetrennt sind, sind kritisch. Es kann nicht mehr überholt werden. Das sei in Ausnahmefällen für kurze Abschnitte möglich, um die Durchgängigkeit des Netzes zu realisieren. Bei längeren Abschnitten müsse man sich andere Varianten überlegen.
Radwege und Fußverkehr gehören baulich getrennt
Ein Radweg sollte baulich getrennt vom Fußverkehr geführt werden, so Graf. Das sei zeitgemäße Planung. Kombinierte Geh- und Radwege werden weder dem Radverkehr noch dem Fußverkehr gerecht. Das sollte unbedingt vermieden werden, insbesondere auf Hauptrouten des Radverkehrs.
Auf den Hauptrouten, den zentralen Routen für den Radverkehr, soll man schnell, bequem und einfach vorankommen – und nicht in Konfliktsituationen mit dem Fußverkehr kommen. Das ist auch dem Fußverkehr nicht zumutbar.
Fahrradstraßen: Kostengünstig und schnell anlegen – so geht’s!
Es sollte nicht Jahre dauern, die Infrastruktur für den Radverkehr auszubauen. Eine schnelle und kostengünstige Lösung sind Fahrradstraßen. Hier reichen im Grunde folgende Schritte:
- Maßnahmen ergreifen, um den Durchgangsverkehr herauszunehmen: Poller, Einbahnstraßensysteme o. Ä.
- mit Markierungen arbeiten. Hier bietet es sich an, Beginn und Ende der Fahrradstraße sowie die seitlichen Einmündungsbereiche auf eine Länge von etwa fünf Metern rot einzufärben – vgl. auch Foto oben.
- Schilder und die Markierungen planen – und die Umsetzung beauftragen!
Für rote Einfärbungen kostet der Quadratmeter zwischen 30 und 40 Euro. Rot eingefärbt werden nur Beginn und Ende der Fahrradstraße und seitliche Einmündungen. Das heißt: Die Kosten bleiben überschaubar. Mit solchen einfachen Maßnahmen lassen sich innerhalb eines Jahres Fahrradstraßen umsetzen – und relativ schnell ganze Netze anlegen.
Wirtschaftswege oder Gemeindeverbindungsstraßen als Fahrradstraße?
Wird eine Gemeindeverbindungsstraße zur Fahrradstraße umgewidmet, ist die Höchstgeschwindigkeit nach StVO 30 Stundenkilometer. Eventuell sind Begleitmaßnahmen nötig, damit diese Geschwindigkeit auch eingehalten wird, z.B. Modalfilter (Barrieren für bestimmte Verkehrsmittel).
Bei Wirtschaftswegen sollte der Einzelfall entscheiden. Ein Problem könnte sein, dass der Landwirt die Straße saubermachen muss. Man sollte sich anschauen, ob die Widmung als Fahrradstraße einen Mehrwert bringt. Möglich wäre auch die Beschilderung als landwirtschaftlicher Weg und die Markierung als Fahrradroute.
Und die Oberfläche von Radwegen?
„Wir empfehlen Asphalt.“ Das Radwegenetz sollte alltagstauglich sein – auch bei schlechtem Wetter und für den Winterdienst. Der Rollwiderstand ist entscheidend für Fahrkomfort.
In Dänemark und den Niederlanden beschäftigt man sich intensiv mit dem Rollwiderstand von Oberflächen. Pflaster sollte nicht mehr Standard sein. Außerdem sollte der Radweg optisch wahrnehmbar sein.
Tipp für Planer:innen: Aktuelle Veröffentlichung der FGSV zu Klimaschutzzielen im Verkehr
Weitere Hinweise für die Verkehrsplanung gibt eine neue Veröffentlichung des FGSV. Die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e. V. (FGSV) ist zuständig für die Erstellung des Technischen Regelwerks für das gesamte Straßen- und Verkehrswesen, zum Beispiel die „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“ (ERA).
Die kostenlose Schrift enthält eine Liste mit Maßnahmen, die Emissionen und Energieverbrauch im Verkehr reduzieren.
„Die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) läutet mit ihrer neuesten Veröffentlichung eine Zeitenwende ein“, befasst sich „erstmals mit den Klimaschutzzielen für den Verkehrsbereich und [setzt] ein Zeichen für die Verkehrswende“, stellt die Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in NRW fest (mehr).
- Verlag der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV): E Klima 2022
Empfehlungen zur Anwendung und Weiterentwicklung von FGSV-Veröffentlichungen im Bereich Verkehr zur Erreichung von Klimaschutzzielen.
Kostenloser Download unter: https://www.fgsv-verlag.de/e-klima-2022
Abstellanlagen für Räder: Worauf ist zu achten?
Fahrräder – teure Pedelecs und moderne Räder – müssen zunächst im privaten Bereich sicher, zugangs- und wettergeschützt untergebracht werden können. Komfort ist ebenfalls wichtig: Ein schweres Rad erst aus dem Keller hochzuwuchten, ist zu umständlich.
Deshalb sollten unbedingt Möglichkeiten genutzt werden wie die Anwendung der Landesbauordnung, eine kommunale Fahrradstellplatz-Satzung, Fahrradhäuschen auf öffentlichen Flächen in dichtbebauten Gebieten oder ein Förderprogramm für Fahrradgaragen, die auch sicheren Raum für Lastenräder bieten.
Standardregeln sind:
- Überall, wo Räder über mehrere Stunden stehen, sollten sie witterungsgeschützt sein.
- Wo Räder über lange Zeit, z.B. über Nacht, parken, sollten sie zugangsgeschützt sein, z.B. bei Bahnhöfen.
Umsetzung: Wie bohrt man die dicken Bretter?
Vorteilhaft ist es Grafs Erfahrung nach, wenn an der Spitze Personen sind, die sich dafür einsetzen. Die Verwaltungsspitze muss dahinter stehen und das nach außen vertreten und nach innen die entsprechenden Rahmenbedingungen setzen.
Und: Die Niederlanden waren nicht immer so fahrradfreundlich. Die Entscheidungen gingen nicht von der Politik, sondern von der Bevölkerung aus. Die Menschen wehrten sich gegen die vielen Unfälle und haben die Politik angeschoben: „Stoppt den Kindermord!“ Das Engagement von Initiativen und Vereinen ist mitentscheidend.
Und dann die Angst um die Parkplätze
Diese Sorgen gibt es überall. Hilfreich können hier genaue Parkerhebungen anhand der Kennzeichen sein: Wer steht da eigentlich vor Ort und wie lange? Die Ergebnisse sind oft gute Argumente für Veränderungen, wenn z.B. in Wohngebieten Fremdparker stehen.
Auch die Frage nach der Verwendung von Garagen ist wichtig: Was wurde im Bauantrag und in der Baugenehmigungen festgeschrieben – und wie wird die Garage heute genutzt? Flächen im privaten Bereich können so besser genutzt werden und öffentliche Flächen zur Verfügung gestellt werden. Alternative Lösungen sind ebenfalls möglich, wie zentrale Stellplätze oder Parkgaragen.
‼️Tipp für die schnelle Antwort:
Kommunal-Hotline des Beratungsunternehmens‼️
Ein Tipp zum Schluss für die, die in einer bestimmten Frage einen fachlichen Rat zu Fuß- und Radverkehr brauchen oder sich eine unabhängige Meinung einholen wollen: Die Kommunal-Hotline des Instituts für innovative Städte (i.n.s.).
Hier kann man das Fachwissen eines erfahrenen Expertenteams nutzen und eine individuelle Antwort auch bei kleinteiligen Anfragen erhalten.
Kosten: Bearbeitungsgebühr pro Anfrage 25,00 € zzgl. Stundensatz á 120,00 €. Abgerechnet wird nach tatsächlichem Aufwand im Viertelstundentakt.
- Kommunal-Hotline von i.n.s.: https://www.innovative-staedte.com/hotline/
Mehr Information
- Thiemo Graf: https://twitter.com/thiemograf
- i.n.s. – Institut für innovative Städte: https://www.innovative-staedte.com/
- Bundesverkehrsministerium: „Wissing beruft Beirat für Radverkehr“ (25.08.2022) – mehr
20 Beiratsmitglieder (11 Frauen und 9 Männer) aus Verwaltung, Forschung und Lehre sowie Verbänden werden zunächst bis 2026 im Sinne des Nationalen Radverkehrsplans 3.0 gemeinsam mit dem BMDV daran arbeiten, mehr, besseren und sichereren Radverkehr in den Städten und ländlichen Räumen in Deutschland zu schaffen. - Thiemo Graf: Die Bedeutung guter und intuitiv erkennbarer Radverkehrsinfrastruktur – mehr
Vortrag beim Radsymposium 2019 der AGFK Niedersachsen/Bremen e.V. „Gute Fahrt auf guten Wegen – Standards für Radverkehrsanlagen“ - Thiemo Graf: Grundlagen für die Einrichtung von Fahrradstraßen und Fahrradzonen – mehr
Gemeinde Timmendorfer Strand: Workshops Fahrradstraße
Verkehrswende-Bündnis: Veranstaltungsreihe „Lüneburg mobil 2030“
Bis 2030 klimaneutral zu sein – das hat sich die Hansestadt Lüneburg zum Ziel gesetzt. Wie gelingt das im Bereich Mobilität? Damit beschäftigt sich die Veranstaltungsreihe „Lüneburg mobil 2030“ des Verkehrswende-Bündnis Lüneburg im Herbst und Winter 2022/23.
Die Veranstaltungen stellen Beispiele aus anderen Städten vor, bieten Hintergrundinformation und laden zur Diskussion ein.
Die Vortragsreihe versteht sich als Vorläufer für den Bundesweiten Umwelt- und Verkehrskongress BUVKO, die Fachtagung für nachhaltigen Verkehr. Dieser findet vom 31. März – 2. April 2023 in der Universität Lüneburg statt.
- Vortragsreihe Lüneburg mobil 2030
Bisherige Veranstaltungen und Infos: https://luene-blog.de/tag/mobil-2030/
Kommende Veranstaltungen
- Pünktlich, verfügbar und bequem. Öffentlicher Verkehr in der Schweiz.
Donnerstag, 2. Februar 2023, 19:00-20:00 Uhr.
Mit: Daniel Heer, Leiter Planung, Verkehrsverbund Luzern. - Radverkehr: Alles, was Recht ist
Mittwoch, 15. Februar 2023, 19:00-20:00 Uhr
Mit: Dr. Ralf Kaulen, Stadt- und Verkehrsplanungsbüro Kaulen (SVK) für nachhaltigen Stadt- und Verkehrsplanung. Arbeitsschwerpunkt: Förderung des Fahrradverkehrs und der multimodalen Vernetzung der Verkehrsmittel des Umweltverbunds. - Bundesverkehrskongress BUVKO: https://buvko.de
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