
Bahnsteig Lüneburg, 4. Mai 2025: Handgreiflichkeiten mit Rollstuhlfahrer – Antiableistische Aktion nimmt Stellung
Am verkaufsoffenen Sonntag, 4. Mai 2025, mit dem Motto „Vielfalt und Inklusion“, wollte ein Rollstuhlfahrer mit dem metronom von Lüneburg abfahren – und es kam zu Handgreiflichkeiten und Konflikten bis hin zum Polizeieinsatz. Die Bahngesellschaft spricht von „haltlosen Vorwürfen“. Die Initiative Antiableistische Aktion Lüneburg unterstützt die Darstellung des Betroffenen.
Mitteilung von: Antiableistische Aktion Lüneburg – Am: 22.05.2025
Online: https://fightableism.noblogs.org/post/2025/05/22/ – Foto: Rollstuhl, Beispielfoto, Pixabay
Schlechte Erfahrungen auf der Rückfahrt vom „Inklusionstag“ in Lüneburg
Die Vorgeschichte: Ein Fest für „Inklusion & Vielfalt“ ließ Lüneburg Marketing am 4. Mai 2025, am Tag vor dem Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (5. Mai), ausrichten. Was ein Rollstuhlfahrer, der dabei zu Gast war, auf der Rückfahrt erlebte, schilderte Daniela Laudan, Vorsitzende des Behindertenbeirats.
- Lüne-Blog: „Inklusionstag“ in Lüneburg: Rollstuhlfahrer mit Gewalt aus Zug geworfen – 15.05.2025
metronom: „Völlig haltlose Vorwürfe“
Am 19. Mai 2025 veröffentlichte metronom eine Stellungnahme zum Geschehen. Ausschnitte daraus: „Seit dem 4. Mai wird metronom mit völlig haltlosen Vorwürfen konfrontiert, ein Mitarbeiter hätte sich gegenüber einem Fahrgast mit Rollstuhl diskriminierend verhalten. […] Richtig ist, dass in dem betroffenen Zug eine Mitnahme nicht mehr möglich war. […] Direkt am Bahnsteig wurde der Fahrgast mit Rollstuhl freundlich darauf hingewiesen, dass eine Mitnahme (aus o.g. Gründen) leider nicht mehr möglich sei. Alternativ wurde ihm empfohlen, einen kurze Zeit später fahrenden Zug zu nutzen, welcher ausreichend Kapazitäten hätte.
Daraufhin stand der Fahrgast aus seinem Rollstuhl auf, warf sich der Länge nach zwischen Zug und Bahnsteig, wobei sein Rollstuhl ebenfalls umfiel. Im Versuch, die Situation deeskalierend zu lösen, wurde einer unserer Mitarbeiter vom Fahrgast mehrfach gebissen und musste später ärztlich behandelt werden. […] All diese Fakten sowie weitere Zeugenaussagen wurden von der Polizei erfasst. Die laufenden Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.“
- metronom: „Unsere Sicht auf die Ereignisse vom 4. Mai“ – 19.05.2025
Antiableistische Aktion Lüneburg: Erwiderung an metronom
Die Stellungnahme der metronom Eisenbahngesellschaft enthalte Rechtfertigungen, die auf falschen Tatsachen beruhten, teilt die Antiableistische Aktion Lüneburg am 22. Mai 2025 als Pressemitteilung mit. Die Initiative verbindet ihre Gegendarstellung mit der Forderung nach Barrierefreiheit im Bahnverkehr und nach einer unabhängigen Beschwerdestelle, an die sich Behinderte im Bedarfsfall wenden können.
Im Folgenden ist die Erklärung der Antiableistischen Aktion Lüneburg leicht gekürzt wiedergegeben.
Antiableistische Aktion Lüneburg: Erklärung zur Darstellung von metronom
Die metronom Eisenbahngesellschaft hat zu dem durch unsere Initiative öffentlich gemachten Fall von Diskriminierung eines Rollstuhlfahrers bei metronom in Lüneburg öffentlich Stellung genommen. Darin wird die Antiableistische Aktion Lüneburg aufgefordert, „die öffentlichen Anschuldigungen auf Grundlage falscher Tatsachen zu unterlassen und zu einem sachlichen, konstruktiven und kooperativen Dialog zurückzufinden.“
Die Darstellung von metronom unterstellt dem betroffenen Rollstuhlfahrer, der sich sein Recht auf Mitfahrt nicht nehmen lassen wollte, sachlich unzutreffend ein massives Fehlverhalten und eine völlig absurde Vorgehensweisen. Da er sich öffentlich beschwert, wird er persönlich verunglimpft.
- Andere Fahrgäste stiegen ein und aus
Der Zug soll voll gewesen sein. Aber: Fußgänger*innen stiegen in Lüneburg ein und aus. Sogar Menschen mit Fahrrädern durften in andere Wagen einsteigen. - Beförderungsrichtlinien wurden nicht umgesetzt
Das Unternehmen hält sich nicht an die eigenen Vorrangregelungen beim Mehrzweckwagen: Rollstuhlnutzende und Menschen mit Kinderwagen haben dort Vorrang. Auf diese Richtlinien geht das Unternehmen in seinen Stellungnahmen vom 13. und 19. Mai überhaupt nicht ein und erklärt auch nicht, warum dieser Vorrang vom Zugpersonal nicht umgesetzt wurde. - Rollstuhl sei umgefallen, weil der Rollstuhlfahrer aufstand
In ihrer Stellungnahme erklärt die Eisenbahngesellschaft, der Mitarbeiter habe versucht „die Situation deeskalierend zu lösen“. Der Rollstuhlfahrer sei aus seinem Rollstuhl aufgestanden und habe sich „der Länge nach zwischen Zug und Bahnsteig geworfen, wobei sein Rollstuhl ebenfalls umfiel“. Der Wahrheitsgehalt dieser Behauptung darf angezweifelt werden. Ein Rollstuhl fällt nicht einfach um, wenn der*die Nutzer*in aufsteht. Er landet erst recht nicht auf dem Kopf mitten auf dem Bahnsteig, rund drei Meter weiter. - Videoaufnahmen sprechen gegen Darstellung von metronom
Auf dem Video des Betroffenen ist zu sehen, wie der Rollstuhl auf dem Bahnsteig kopfsteht und die persönlichen Dinge darum herum verteilt sind. Die Aussage des Betroffenen, wonach der Schaffner den Rollstuhl hingeworfen hat, ist anhand dieser Bilder sehr viel glaubhafter. Im Video ist zudem das Gegenteil von Deeskalation durch das Zugpersonal zu sehen.
Gruppenmitglieder treffen den Rollstuhlfahrer am Bahnsteig an
Aktive der Antiableistischen Aktion Lüneburg haben den Rollstuhlfahrer kurz nach dem Vorfall am Bahnsteig angetroffen. Es ging ihm sichtbar sehr schlecht, er stand noch unter Schock. Neben Schürfwunden und frischen Blutergüssen hatte er eine frische Strangulationsspur am Hals, wie sie entsteht, wenn ein Mensch an seiner Kleidung gezerrt wird. Außerdem berichtete er von Schmerzen in mehreren Körperbereichen.
„Vor seinem Aufbruch zum Bahnhof hatten wir Zeit miteinander verbracht und können bezeugen, dass es die Verletzungen und Schäden am Rollstuhl vorher noch nicht gab“, so die Augenzeug*innen.
Bereits früher negative Erfahrungsberichte über diesen Mitarbeiter
Die meisten metronom-Beschäftigten verhalten sich anders. Aber drei unserer Gruppenmitglieder haben den am 4. Mai maßgeblich aktiven metronom-Mitarbeiter auf früheren Fahrten ebenfalls bereits als aggressiv, bedrohlich und diskriminierend erlebt.
„Ich habe jahrelang Vorfälle bei Metronom z. B. via Twitter mit Nennung des metronom-Accounts gemeldet und irgendwann aufgehört, weil nie eine Reaktion kam. … Die Reaktion von metronom im aktuellen Fall lassen mich am Willen des Eisenbahnunternehmens nach sachlicher Aufklärung zweifeln“, erklärt Cécile. Die Reaktion des Unternehmens zeige, dass Betroffene eine Täter-Opfer-Umkehr riskieren. Sie würden als nicht glaubhaft dargestellt und eingeschüchtert. „Ein Dialog ist für mich nur möglich, wenn die metronom Eisenbahngesellschaft uns nicht andauernd als die Störenfriede ihrer tollen Bahn-Welt darstellt“, ergänzt eine weitere Betroffene.
Antiableistische Aktion Lüneburg: Forderungen
- Forderung nach einer unabhängigen Beschwerdemöglichkeit
Es braucht eine Möglichkeit, Beschwerden einfach, unbürokratisch, datenschutzfreundlich und barrierefrei bei einer unabhängige Stelle einzureichen. Dass metronom oder ein anderes Bahnunternehmen über sich selbst urteilt, ist strukturell nicht geeignet, wie der aktuelle Fall zeigt. - Beachtung der UN-Behindertenrechtskonvention
Die metronom Eisenbahngesellschaft hat eine Betroffene auf ihr Compliance-System und die Beschwerdestelle von Netinera, das Eisenbahnunternehmen, zu dem metronom gehört, hingewiesen. Netinera beruft sich bei den ethischen Grundsätzen auf diverse internationale Vereinbarungen, unter anderem auf die Charta der Menschenrechte und die UN-Kinderrechtskonvention (netinera: Grundsatzerklärung zur Menschenrechtsstrategie). Nicht erwähnt wird jedoch die UN-Behindertenrechtskonvention. Die ist in Deutschland seit 2009 als gültiges Recht in Kraft und sollte maßgeblich sein. - Barrierefreiheit in Zügen und auf Bahnhöfen
Wenn Züge und Bahnhöfe barrierefrei wären, würde es nicht zu solchen Konflikten kommen. Menschen die auf Barrierefreiheit angewiesen sind, sind tagtäglich mit Barrieren konfrontiert. Das ist struktureller Ableismus. Hier sind Bahn-Unternehmen, Politik und Behörden gefordert, in diesem Fall die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG), die die Züge bestellt.
Wir fordern: In Züge müssen gehbehinderte Menschen ohne fremde Hilfe einsteigen können und es muss genug Rollstuhlplätze geben. Die UN-Behindertenrechtskonvention sichert uns Barrierefreiheit an allen Orten des öffentlichen Lebens zu. Barrierefreiheit bedeutet laut Behindertengleichstellungsgesetz, etwas ohne fremde Hilfe in der allgemein üblichen Weise benutzen zu können.
Infrastruktur muss barrierefrei gestaltet sein
- Ausreichend Plätze für Kinderwagen und Rollstühle
Problematisch ist auch, wenn es nur einen einzigen Mehrzweckwagen für Menschen mit Rollstuhl und Menschen mit Kinderwagen gibt. Das reicht oft nicht aus. Es braucht mehr Platz. Zwei Rollstuhlplätze in einem Zug mit bis zu 1000 Steh- und Sitzplätzen für Fußgänger*innen sind viel zu wenig. - Zeitnahe Reparaturen und Ersatzangebote bereithalten
Außerdem ist man darauf angewiesen, dass die Technik funktioniert. Wenn die einzige Tür für Rollstuhlnutzende oder die einzige Rampe kaputt ist, können viele von uns nicht mitfahren. Es braucht Redundanz, also eine zweite Tür, eine zweite Rampe, und diese Infrastruktur muss ohne fremde Hilfe benutzbar sein.
Recht auf Barrierefreiheit endlich umsetzen
Unser Recht auf Barrierefreiheit muss endlich umgesetzt werden. An allen Orten. Barrierefreiheit muss einklagbar sein!
Heute sind wir von der Bereitschaft des Personals abhängig, die Rampe zu bedienen, um überhaupt einsteigen zu können. Wenn gehbehinderte Menschen genauso frei einsteigen könnten wie Nichtbehinderte, dann wäre es zu der Situation am 4. Mai überhaupt nicht gekommen. Zu den schlimmen Erlebnissen, die mehrere Menschen aus unserer Initiative mit demselben Schaffner hatten, auch nicht.
In allen Situationen wurde den Rollstuhlfahrer*innen untersagt mitzufahren, obwohl andere Passagiere einsteigen durften. Wenn nichtbehinderte Fahrgäste die Rollstuhlplätze belegen und nicht bereit sind, sie freizugeben, sollte das Personal sie dazu auffordern, statt Rollstuhlfahrer*innen die Mitfahrt zu verweigern.
- Fight Abelism: https://fightableism.noblogs.org/post/2025/05/22/
Stellungnahme der Antiableistischen Aktion Lüneburg zur Reaktion der metronom Eisenbahngesellschaft vom 19. Mai 2025 - metronom: Unsere Sicht auf die Ereignisse vom 4. Mai – 19.05.2025
metronom: „Am 4. Mai kam es am Bahnhof Lüneburg zu einem Polizeieinsatz mit einem mobilitätseingeschränkten Reisenden. Ein stark verkürzter Videoausschnitt sorgt seither für öffentliche Diskussionen. Unsere Stellungnahme zu den nicht belegten Vorwürfen gegen metronom.“ - Lüne-Blog: „Inklusionstag“ in Lüneburg: Rollstuhlfahrer mit Gewalt aus Zug geworfen – 15.05.2025
Ein Fest für „Inklusion & Vielfalt“ ließ Lüneburg Marketing am 4. Mai 2025, am Tag vor dem Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (5. Mai), ausrichten. Was ein Rollstuhlfahrer, der dabei zu Gast war, auf der Rückfahrt erlebte, schildert Daniela Laudan, Vorsitzende des Behindertenbeirats. Ihr Bericht zeigt, wie weit wir immer noch von Gleichstellung entfernt sind.
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