OB Kalisch: Debatte versachlichen – Innenstadt bleibt für alle erreichbar
Geschäftsaufgabe in der Bardowicker Straße: Ist die städtische Verkehrspolitik schuld? Ja, sagt der CDU-Wirtschaftsverband MIT und verlangt mit der CDU-Ratsfraktion Priorität für den motorisierten Verkehr. Die Debatte wieder zu versachlichen, fordert OB Claudia Kalisch. „Dass Geschäfte schließen, hängt in der Regel maßgeblich mit gestiegenen Kosten und dem geänderten Kaufverhalten der Menschen zusammen – Stichwort Strukturwandel und Onlinehandel“, so Carl-Ernst Müller, Leiter der Stabstelle Innenstadtentwicklung.
Mitteilung von: Hansestadt Lüneburg – Am: 14.11.2024
Online: mehr – Foto: Hansestadt Lüneburg
OB Kalisch: Innenstadt bleibt auch künftig für alle erreichbar – „ob mit Auto, Bus, Fahrrad oder zu Fuß“
Lüneburgs Oberbürgermeisterin bittet um sachliche Debatte beim Thema Innenstadtwandel
„Wenn ein Geschäft schließt, dann ist das bitter. Für die Inhaber, die Mitarbeitenden, die Kunden, für unsere Stadt. Wenn ein Geschäft schließt, dann hat das meist mehrere Gründe. Einseitige oder polarisierende Erklärungen zu suchen, wird den Fragen zum Wandel der Innenstadt jedoch nicht gerecht und erschwert auch die Entwicklung von Lösungen“, betont Lüneburgs Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch.
Verkehrspolitik tatsächlich Ursache für Ladenschließung in der Bardowicker Straße?
Die Rathauschefin hat mit ihrem Team aus der Stadtverwaltung mit Erstaunen einen Artikel in der Lüneburger Landeszeitung gelesen, in dem es um die Schließung des Modegeschäfts Sellnau in der Bardowicker Straße geht. In einer der Überschriften schreibt die LZ, dass die städtische Verkehrspolitik laut Inhaberin „Auslöser für die Pleite“ sei.
Im Text wird der Insolvenzverwalter zitiert, die Verkehrspolitik der Stadt sei zumindest mit verantwortlich für die Schließung. Konkret ist die Rede von „vielen Baustellen rund um die Innenstadt, die zuletzt entstandenen Fahrradstraßen und eine sinkende Anzahl von Parkplätzen“. Als Folge dieser „Verkehrspolitik“ fehlte es laut Inhaberin zuletzt an der notwendigen Laufkundschaft.
Bitte um faktenbasierte Diskussion
Da hier viele verschiedene Dinge vermengt und teilweise falsch dargestellt sind, nun die Fakten:
- Fahrradstraßen
Es gibt in der Innenstadt e i n e sogenannte „unechte Fahrradstraße“ am anderen Ende der Innenstadt – in der Wallstraße. Darüber hinaus arbeitet die Verwaltung an einem Fahrradring. Zu Einschränkungen für die Befahrbarkeit durch Autos kam es hier nicht und wird es auch nicht kommen.
„Auto- und Radfahrende gegeneinander auszuspielen, macht kaum Sinn, da viele Menschen beide Verkehrsmittel nutzen“, so Kalisch. Und weiter: „Im Übrigen sind auch Menschen, die mit dem Rad zum Einkaufen fahren, gute Kund:innen“. - Parkplätze und Parkmöglichkeiten
In der Bardowicker Straße sind keine Stellplätze weggefallen – weder vor 2020 noch im Zuge des Umbaus von Februar bis Anfang September 2020. Vereinzelt fallen immer mal wieder Stellplätze weg – nicht erst in den letzten Jahren, oft auch aus Sicherheitsgründen (Feuerwehraufstellflächen, Sichtbeziehungen, Gefahrenstellen). Kalisch dazu: „Es gibt keinen grundsätzlichen Mangel an Parkplätzen in der Innenstadt – auch wenn dies gern behauptet wird. Im Gegenteil: Unsere Parkhäuser sind bei weitem nicht ausgelastet.“
In der aktuellen politischen Debatte sei die Erreichbarkeit der Innenstadt für alle Beteiligten zentral. Unabhängig von dieser Grundsatzdiskussion müsse man deutlich erkennen: „Die Erreichbarkeit für das Geschäft Sellnau hat sich in keiner Weise verändert.“ Die Oberbürgermeisterin warnt: „Das Wiederholen solch falscher Annahmen macht die Stadt in der öffentlichen Wahrnehmung nicht attraktiver und kann am Ende tatsächlich noch Kundinnen und Kunden abschrecken.“ - Welche Parkplätze im Umfeld sind weggefallen?
Parkplätze vor dem Geschäft – im Abschnitt Bardowicker Straße/Am Ochsenmarkt – gibt es seit der Umsetzung des Verkehrsentwicklungsplanes VEP in den 1990er Jahren zu den regulären Ladenzeiten nicht – daran hat sich von damals bis heute nichts geändert. Im Umfeld zu Sellnau wurden in den letzten Jahren einige Stellplätze am Reichenbachplatz umgewandelt in E-Ladeparkplätze. - Baustellen Innenstadt
Die Bardowicker Straße wurde im Jahr 2020 um- und ausgebaut. Einige Jahre zuvor wurde die Bäckerstraße umgestaltet. Diese Baumaßnahmen dienen insbesondere auch der Aufwertung der Innenstadt und damit auch den dortigen Geschäften. Größere Baustellen in der Innenstadt fanden in diesem Sommer rund um den Platz Am Sande statt. Die Frequenzmessungen in der Innenstadt haben hier gezeigt, dass die Passantenzahlen während der Bauzeit nahezu unverändert geblieben sind. - Laufkundschaft
Die Messung dieser Passantenzahlen in der Innenstadt belegen zudem, dass die Besuchenden in der Innenstadt nicht weniger geworden sind. Die Messungen zeigen zwischen 2022 und 2024 konstante Zahlen – mit den üblichen jahreszeitlichen und veranstaltungsbedingten Schwankungen. Ein signifikanter Rückgang in den letzten Jahren war lediglich während der Corona-Pandemie 2020 und 2021 zu verzeichnen. Die Frequenzen in der Fußgängerzone haben sich seither kontinuierlich erholt.
Oberbürgermeisterin Kalisch: „Der Innenstadt-Wandel ist eine zentrale städtische Herausforderung dieser Zeit. Auch in Lüneburg. Natürlich sind die Geschäftstreibenden sehr besorgt und natürlich suchen Betroffene nach Ursachen und Lösungen. Umso mehr bitte ich alle Beteiligten, hier eine sachliche Debatte zu führen, um nicht weiter Ängste zu schüren.“ - Gestiegene Kosten und Strukturwandel
In der Stadtverwaltung beschäftigt sich die Stabstelle Nachhaltige Innenstadtentwickung mit der Veränderung der Innenstadt. Carl-Ernst Müller, Leiter der Stabstelle sagt: „Bundesweit und auch in anderen Ländern erleben Innenstädte exakt diesen Wandel und die gleichen Herausforderungen wie in Lüneburg. Dass Geschäfte schließen, hängt in der Regel maßgeblich mit gestiegenen Kosten und dem geänderten Kaufverhalten der Menschen zusammen – Stichwort Strukturwandel und Onlinehandel.“
OB Kalisch: Erreichbarkeit der Innenstadt bleibt immer möglich – egal, ob zu Fuß, mit dem Bus, Auto oder Fahrrad
Diese Entwicklung lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Die Chance könne daher nur darin bestehen, so der Leiter der Stabsstelle, die Trends für den Erhalt von Geschäften in der Innenstadt zu nutzen. Die Stadt kann hier unterstützen, indem sie durch verschiedene Maßnahmen die Aufenthaltsqualität der Innenstadt erhöht, beim Thema Leerstand vermittelt und – natürlich – die Erreichbarkeit sicherstellt.
Kalisch abschließend: „Natürlich muss und wird die Erreichbarkeit der Innenstadt für alle Menschen immer möglich sein – egal, ob zu Fuß, mit dem Bus, Auto oder Fahrrad.“
Blick in die Geschichte: Lüneburgs Innenstadt wird verkehrsberuhigt – 1990-1993
In den 1990er Jahren unter SPD-Oberbürgermeister Ulrich Mädge wurde in Lüneburg der Verkehrsentwicklungsplan umgesetzt. Vorher fuhr der Kfz-Verkehr mitten durch die Innenstadt mit der Bäckerstraße als Bundesstraße und Marktplatz und Am Sande als Parkplätze. Nun wurde die Fußgängerzone ausgeweitet auf knapp 5 Kilometer.
Gleich nach dem Beschluss des Verkehrsentwicklungsplans regten sich kritische Stimmen von Wirtschaftsverbänden, die zu einer von lokalen Medien mitbeförderten Protestwelle eskalierten. Prof. Dr. Peter Pez, Leuphana Universität, beschreibt in einem Aufsatz aus dem Jahr 2000 (siehe unten) die damaligen Ereignisse.
Mit dem Wahlergebnis endete der Schlagabtausch
Wirtschaftsverbände und Geschäftsinhaber beklagten rückläufige Umsätze und verwiesen bei einigen Geschäftsschließungen auf die Verkehrsberuhigung als (Mit-)Ursache. Die Oppositionsparteien CDU und FDP griffen die Proteste auf und machten sie 1994 zum Wahlkampfthema bei der kombinierten Landtags- und Kreistagswahl.
Ein gewisser Widerspruch, denn beide, CDU und FDP, hatten den Verkehrsentwicklungsplan 1990 als Mehrheitsfraktionen verabschiedet und die Wahl betraf den Landkreis, nicht die Stadt. Mit dem Wahlergebnis – CDU und FDP verloren über 7 Prozentpunkte – fand der politische Schlagabtausch dann ein abruptes Ende.
Verkehrsberuhigung in der Bevölkerung nach kurzer Zeit akzeptiert
Wie Untersuchungen und Befragungen zeigten, war die Verkehrsberuhigung in der Bevölkerung bereits nach kurzer Zeit akzeptiert. Die Zufriedenheit erhöhte sich weiter nach Straßenumbauten und verkehrspolitischen Begleitmaßnahmen. Feststellen ließ sich zudem ein ganz erheblicher Rückgang in der Abgasbelastung und eine eindrucksvolle Senkung der Unfallzahlen. So die Beschreibung von Prof. Dr. Peter Pez, Leuphana Universität, in einem Aufsatz im Jahr 2000.
- Deutsches Institut für Urbanistik (difu): Peter Pez: Verkehrsberuhigung in Stadtzentren am Beispiel Lüneburgs (PDF-Datei)
Ihre Auswirkungen auf Politik, Ökonomie, Mobilität, Ökologie und Verkehrssicherheit – unter besonderer Berücksichtigung des Fallbeispiels Lüneburg. Archiv für Kommunalwissenschaften, 39. Jahrgang 2000, Band I., S. 9-12.
Historisches Lüneburg – Playlist bei YouTube
Das waren noch Zeiten: Da konnte man wirklich bequem mit dem Auto in die Stadt und vor dem Geschäft parken. Die Bäckerstraße war Bundestraße, auf dem Marktplatz und Am Sande konnte man seinen Wagen abstellen. Einige Einblicke ins historische Lüneburg bietet die Playlist von Lüne-Stream.
- Lüne-Stream: Historisches Lüneburg – Playlist bei YouTube
Lünepedia: Nachhaltiger Urbaner Mobilitätsplan (NUMP)
Der Nachhaltige Urbane Mobilitätsplan (NUMP) ist ein Handlungsrahmen für die Mobilitätsentwicklung, der durch die Hansestadt Lüneburg erarbeitet wird. Es erfolgt eine enge Abstimmung mit dem Landkreis Lüneburg, in dem ein Mobilitätsgutachten verfasst wird.
Die Auftaktveranstaltung zum NUMP-Prozess fand am 15.06.2023 statt. Der NUMP (englisch SUMP – Sustainable Urban Mobility Plan) ist ein auf Nachhaltigkeitsaspekte fokussierter Verkehrsentwicklungsplan, wie ihn auch die Europäische Union empfiehlt. Der NUMP wird auch als Fortschreibung des Anfang der 1990er Jahre umgesetzten Verkehrsentwicklungsplans (VEP) gesehen.
Weiterlesen: https://www.luenepedia.de/wiki/Nachhaltiger_Urbaner_Mobilitätsplan
Ergänzung oder Korrektur? Bitte Mail an redaktion@luene-blog.de – danke!
Lüne-Blog veröffentlicht Pressemitteilungen, Berichte und Veranstaltungshinweise von Verbänden und Zusammenschlüssen. Nachricht an: redaktion@luene-blog.de