Vortrag von PHK Martin Schwanitz, VHS Lüneburg, 05.09.2024. Foto: AG Lüneburg zu Fuß.

Martin Schwanitz bei „Lüneburg zu Fuß“: Plädoyer für „sichere Wege für alle“

Regelmäßig kommt es im Straßenverkehr zu Unfällen – Menschen werden getötet oder verletzt. Damit dürften wir uns nicht einfach abfinden, fordert Martin Schwanitz, Verkehrssicherheits-Beauftragter der Polizeiinspektion Lüneburg. Wie der Fußverkehr sicherer wird, beschrieb er in seinem Vortrag am 5. September 2024 für die AG „Lüneburg zu Fuß“.


Mitteilung von: AG Lüneburg zu Fuß – Am: 09.09.2024
Online: i.A. FUSS e.V. Lüneburg – https://www.lüneburg-zu-fuss.de/ – mehr – Foto: AG Lüneburg zu Fuß


PHK Martin Schwanitz: Unfällen vorbeugen – sichere Wege für alle schaffen

Foto: AG Lüneburg zu Fuß. PHK Martin Schwanitz, Verkehrssicherheits-Beauftragter vom Präventionsteam der Polizeiinspektion Lüneburg/Lüchow-Dannenberg/Uelzen, am 5. September 2024 im Foyer der VHS Lüneburg.

Zu Fuß gehen muss bei der Verkehrsplanung noch viel mehr berücksichtigt werden, stellte Martin Schwanitz fest. Schwanitz ist Polizeihauptkommissar und Verkehrssicherheits-Beauftragter der Polizeiinspektion Lüneburg. Auf Einladung der AG Lüneburg zu Fuß informierte er am 5. September 2024 über Erkenntnisse aus der Unfallforschung und Konsequenzen für Verkehrsplanung und Öffentlichkeitsarbeit.

Ziel müsse sein, sichere Wege für alle zu schaffen – für Familien, Kinder und Ältere, deren Zahl in den nächsten Jahren deutlich zunehmen wird. Und er bedankte sich ausdrücklich bei der AG Lüneburg zu Fuß, die zur Veranstaltung in der VHS Lüneburg eingeladen hatte, für ihr Engagement.

I. Fußgänger:innen als Unfallbeteiligte in Lüneburg

Martin Schwanitz hatte eine Fülle von Fakten und Untersuchungsergebnissen mitgebracht. Darunter einige, die doch überraschten: So sind zu Fuß Gehende besonders innerorts gefährdet. In der Hansestadt Lüneburg gab es in den letzten 10 Jahren 508 Unfälle mit Beteiligung von zu Fuß Gehenden, davon 4 Getötete, 80 Personen wurden schwer, 381 Personen leicht verletzt. Dazu kommen nicht gemeldete Unfälle und Beinahe-Unfälle, die wahrscheinlich eine hohe Dunkelziffer bilden, wie Schwanitz erklärte.

Hauptunfallursache im Fußverkehr: Queren einer Straße

Rund drei Viertel der Unfälle geschehen, wenn Fußgänger:innen eine Straße überqueren. Bei Kindern sind es sogar fast 90 Prozent. „Straßenüberquerungen sind gerade für Kinder sehr komplex“, sagt Schwanitz. Verkehrssicher in diesem Zusammenhang seien Kinder erst etwa ab 14 Jahren. Vorher könnten sie herannahende Fahrzeuge, Geschwindigkeiten und Entfernungen noch gar nicht richtig einschätzen. Schulwege müssten immer wieder geübt werden, aber dazu fehlt oft die Zeit.

Eine häufige Unfallursache ist auch, wenn Fahrzeuge zu dicht an Kreuzungen, Zebrastreifen oder gar auf Gehwegen parken. „Jeder fünfte Unfall steht im Zusammenhang mit einem geparkten Auto“, weiß Schwanitz. Denn die Sichtbeziehung ist dann beispielsweise gestört, die Verkehrsteilnehmer nehmen sich gegenseitig zu spät wahr. Ein Blumenkübel oder eine Fahrrad-Abstellanlage helfen, damit Einmündungen gut einsehbar bleiben.

Unfälle zwischen Fuß- und Radverkehr

Die Unfallforschung der Versicherer (UDV) hat speziell die Unfälle zwischen Fuß- und Radverkehr untersucht. Ergebnis: Knapp 60 Prozent aller Fuß-Rad-Unfälle, bei denen Menschen verletzt werden, werden von Radfahrenden verursacht. Die Untersuchung leitet daraus Hinweise für die Gestaltung der Infrastruktur ab (udv: Unfälle zwischen Fuß- und Radverkehr – 23.10.2023).

Überproportional häufig beteiligt sind dabei Jugendliche und junge (männliche) Erwachsene zwischen 10 und 27 Jahren, die „jungen Wilden“, wie sie im Polizeijargon genannt werden. Auch hier geht der Verkehrssicherheitsberater von einer hohen Dunkelziffer aus. Und: Allein bei den polizeilich bekannten Unfällen wurde bei mehr als jedem vierten Unfallflucht begangen. Dabei sei völlig klar: Geschieht ein Unfall, haben die Beteiligten dazubleiben und sich zu kümmern.

II. Was tun? Die drei Säulen der Unfallprävention

Bei Gewalttaten ist der Schock oft tief und es werden gesetzliche Maßnahmen und mehr Personal gefordert. Doch die Verletzten und Unfalltoten nehme man anscheinend als gegeben hin, kritisierte der Verkehrssicherheitsberater. Dabei gebe es durchaus sinnvolle und wichtige Maßnahmen, um die Straßen sicherer zu machen. Die Unfallprävention besteht hauptsächlich aus den drei Säulen:

  • Die Gestaltung der Infrastruktur und der Verkehrsregeln,
  • die Kontrolle der Verkehrsregeln
  • und Information und Aufklärung.

1. Verkehrsregelung und Infrastruktur

Infografik: Tempo 30 verkürzt Bremsweg um fast zwei Drittel | Statista

Infografik: Tempo 30 verkürzt Bremsweg um fast zwei Drittel | Statista

Tempo 30 würde helfen, da brauchen wir keine Diskussion“. Tempo 30 bietet eine deutlich höhere Verkehrssicherheit als etwa Tempo 50. Schwanitz verdeutlichte dies anhand einer Folie: Tempo 30 verkürzt den Bremsweg um fast zwei Drittel. Zudem führt Tempo 30 zu weniger starken Unfallfolgen.

Einbahnstraßen tragen dazu bei, dass Fuß- und Radverkehr mehr Raum bekommen können.

Um das Überqueren von Straßen sicherer zu machen, sind laut Studienergebnis der Unfallforschung Mittelinseln mit integrierten Zebrastreifen sehr gut geeignet.

8 Prozent der Unfälle passieren an Ampeln. Schwanitz erwähnte die Existenz von sogenannten Bettelampeln und führte Stade als Beispiel an. Bettelampeln könnten beispielsweise für einige Fußgänger die Motivation fördern, bei Rot zu gehen. (Eine Forderung der dortigen SPD: SPD Stade: Schluss mit Bettelampeln – 08.08.2023). Alternativ sollten die Ampeln sofort umspringen. Teils seien auch die Grünphasen zu kurz – das werde regelmäßig aus Gesprächen mit Bürger:innen und Senior:innen aus Lüneburg deutlich.

Nicht zu vergessen, wenn man zu Fuß unterwegs ist: Die Sichtbarkeit. Helle Kleidung und Reflektoren sorgen dafür, dass man besser gesehen wird.

Gestaltung der Verkehrs-Infrastruktur: Hier wies Schwanitz auf die Empfehlungen der Unfallforschung hin:

  • Schmale Radwege im Seitenraum sollten durch sicherere Lösungen (breitere Radwege oder Fahrbahnführungen) ersetzt werden. Zweirichtungsradwege sollten (wenn möglich) keine Verwendung finden.
  • Die Freigabe von Flächen des Fußverkehrs für den Radverkehr sollte allgemein kritisch hinterfragt und insbesondere bei hohem Fuß- und/oder Radverkehrsaufkommen vermieden werden.
  • Fußgängerzonen sollten möglichst nicht für den Radverkehr freigegeben werden. Eine gut ausgebaute Nord-Süd- und Ost-West-Achse für den Radverkehr könnte das Radfahren in der Lüneburger Fußgängerzone unattraktiv machen.
  • Auch sollte die Verkehrsführung klar und einheitlich sein, ergänzte Schwanitz. Piktogramme könnten dabei sehr helfen.

Das führte zu einem regen Austausch unter den Gästen. Ein „Recht auf Abstand“ wurde auch für den Fußverkehr gefordert. Radfahrende führen häufig viel zu nah und zu schnell an zu Fuß Gehenden vorbei, wurde von verschiedenen Seiten beklagt. Das sei beängstigend.

2. Mehr Kontrollen: Schwierig – auch aufgrund von Personalmangel

Von Seiten der Zuhörenden wurden deutlich mehr Verkehrskontrollen gefordert. Das sei jedoch schwierig, so Schwanitz. Wer als Polizist in dieser Sache unterwegs sei, erlebe immer wieder beleidigende und bedrohende Szenarien.

Und nicht zu vergessen: Auch bei der Polizei wird das Personal nicht mehr. Es fehle letztlich an Beamten, die eine intensive Verkehrsüberwachung möglich machen. Wobei – so ein Hinweis aus dem Publikum – der Ordnungsdienst der Stadt nur für den ruhenden Verkehr, nicht für den fließenden Verkehr zuständig ist.

3. Information und Aufklärung

Ein „Mindshift“, eine grundsätzlich Einstellungsänderung sei nötig, um unsere Straßen sicherer zu machen, erklärte Schwanitz. Mehr Öffentlichkeitsarbeit sei erforderlich. Auch Kampagnen könnten helfen. Allerdings sei dabei Geduld nötig.

Bei Verkehrsplanung und unterwegs im Verkehr müsse die Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmer:innen, von zu Fuß Gehenden, von Kindern und Älteren immer mitgedacht werden. Man solle ruhig auf die Stadt zugehen, auf Problemstellen aufmerksam machen und eine sichere und gut erkennbare Verkehrsführung auch einfordern.

III. „Vision Zero“ – Keine Toten und Schwerverletzten mehr im Straßenverkehr

Für die Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) hätte sich Schwanitz persönlich mehr gewünscht. Immerhin kann Tempo 30 kann jetzt leichter angeordnet werden, z. B. vor Kindergärten, Alten- und Pflegeheimen, Krankenhäusern, Spielplätzen, auf Schulwegen und an Fußgängerüberwegen. Zudem können zwischen Tempo-30-Bereichen leichter Lückenschlüsse vorgenommen werden. Auch Busspuren, Fußgängerüberwege und Anwohnerparken lassen sich einfacher einrichten und Ladezonen schaffen (vgl. Bundesregierung: StVO-Novelle: Ein Plus für Umwelt und Gesundheit – 05.07.2024).

Schwanitz erläuterte abschließend die „Vision Zero“ – null Verkehrstote und Schwerverletzte im Straßenverkehr: „Da müssen wir hin“. Denn in Landkreis und Stadt Lüneburg werden bei Unfällen jährlich etwa 6 Menschen getötet und rund 100 Menschen schwer verletzt. Grund genug, alles zu tun, um „sichere Wege für alle“ zu schaffen.

Vortrag von „Mister Verkehrsplanung in Deutschland“, Prof. Dr. Dieter Müller, am 1. Oktober 2024

Schwanitz schloss mit einer Einladung: Am Dienstag, 1. Oktober 2024, hat die Verkehrswacht Lüneburg anlässlich ihres 70-jährigen Bestehens Prof. Dr. jur. Dieter Müller von der Hochschule der Sächsischen Polizei als hochkarätigen Referenten eingeladen.

Er spricht um 18 Uhr in der Leuphana Universität, Hörsaal 4, zum Thema „Was uns auf unseren Straßen zukünftig erwartet: Autonomes und automatisiertes Fahren, Rad- und Fußverkehr, Verkehrstüchtigkeit der Bevölkerung“. Der Vortrag ist öffentlich und kostenfrei, Interessierte sind herzlich eingeladen.

Mehr zum Thema

  • Unfallatlas Deutschland: https://unfallatlas.statistikportal.de/
    Der Unfallatlas zeigt straßengenau an, wo Unfälle mit Personenschaden stattgefunden haben. Besonders kritisch sind aufgrund der Unfallzahlen von 2023 die Reichenbachstraße, der nördliche Teil der Bardowicker Straße, die Altenbrückertorstraße und Stresemannstraße sowie Friedensstraße und Rote Straße im Bereich des Clamartparks.
  • Unfallforschung der Versicherer (UDV): Unfälle zwischen Fuß- und Radverkehr – 23.10.2024
    Mehr Radverkehr, schnellere und schwerere Räder – das führt auch zu mehr Unfällen zwischen Fuß- und Radverkehr. In einer Studie der Unfallforschung der Versicherer wurde diese Unfallkonstellation im Detail untersucht und Empfehlungen gegeben.
  • Lüne-Blog: Polizeiinspektion Lüneburg, Dannenberg und Uelzen: Verkehrsunfallstatistik 2023 – 12.04.2024
    Keine guten Nachrichten präsentierte die Polizeiinspektion Lüneburg/Lüchow-Dannenberg/Uelzen am 11. April 2024: Die Zahl der Verkehrsunfälle hat deutlich zugenommen. Überhöhte Geschwindigkeit war der Grund für jeden zweiten Unfall in Lüneburg und dem Landkreis. Fahrräder und Pedelcs sind hier besonders gefährdet. Und die zunehmende Unfallbeteiligung Älterer macht große Sorgen.
Gehweg in der Salzstraße. Foto: Lüne-Blog.

Gehweg in der Salzstraße. Die Passantin läuft auf dem Radweg, weil der Gehweg viel zu schmal bemessen und zusätzlich mit einem Aufsteller blockiert ist. Foto: Lüne-Blog.

Lünepedia: AG Lüneburg zu Fuß

Die Arbeitsgemeinschaft Lüneburg zu Fuß ist ein 2023 entstandener Zusammenschluss verschiedener Vereine und Initiativen in Lüneburg, darunter ADFC, Behindertenbeirat, Blinden- und Sehbehindertenverband, Fuss e.V., Lebenshilfe und VCD.

Die Arbeitsgemeinschaft setzt sich dafür ein, dass dem Fußverkehr in Lüneburg mehr Aufmerksamkeit und Geltung verschafft wird. Dafür macht sie auf Barrierefreiheit aufmerksam und will Rücksichtnahme und ein gutes Miteinander fördern.

Weiterlesen: https://www.luenepedia.de/wiki/Lüneburg_zu_Fuß

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