Beispiel Schweiz: Öffentlicher Verkehr – bitte einsteigen!
45 Prozent des Verkehrs in der Stadt Luzern sollen künftig mit Bus oder Bahn zurückgelegt werden, so die Vorgabe der Luzerner Regierung. Daniel Heer, Leiter des Bereichs Planung beim Verkehrsverbund Luzern, erläuterte am 2. Februar 2023 in der Reihe „Lüneburg mobil 2030“, wie man das erreichen will. Zum Vergleich: In Lüneburg liegt der Anteil des Busverkehrs bei etwa 5 Prozent.
Mitteilung von: Verkehrswende-Bündnis Lüneburg/FUSS e.V. Lüneburg
Am: 26.12.2022
Grafik: Präsentation Daniel Heer, Verkehrsverbund Luzern: Erfolgsfaktoren und Herausforderungen im ÖV Luzern. 2. Februar 2023 – Ausschnitt.
Öffentlicher Verkehr in Luzern: Erfolgsfaktoren und Herausforderungen
In seinem Onlinevortrag am Donnerstag, 2. Februar 2023, stellte Daniel Heer, Leiter des Bereichs Planung beim Verkehrsverbund Luzern und zuständig für die ÖV-Strategie, Erfolgsfaktoren und Herausforderungen des ÖV in Luzern vor.
Der Verkehrsverbund Luzern plant, bestellt und finanziert den ÖV im Kanton. Im Auftrag der Regierung soll er den Anteil des öffentlichen Verkehrs am Gesamtverkehr (Modalsplit) in der Stadt Luzern von 42 Prozent im Jahr 2015 auf 45 Prozent im Jahr 2026 steigern. Für das angrenzende Umland ist ein Anstieg von 20 auf 25 Prozent vorgegeben.
Wie kann das gelingen?
Im Folgenden finden Sie den Vortrag von Daniel Heer als Video und eine Kurzzusammenfassung der wichtigsten Aussagen.
Daniel Heer, Verkehrsverbund Luzern: Erfolgsfaktoren und Herausforderungen im ÖV Luzern. 2. Februar 2023.
Wir bitten die Störgeräusche zu entschuldigen.
Teil I: Vortrag
Sechs Erfolgsfaktoren für öffentlichen Verkehr
Sechs Voraussetzungen sind wichtig, damit die Menschen in die Öffis umsteigen:
- Die Busse und Bahnen müssen schnell und pünktlich sein.
- Man muss einfach und barrierefrei damit fahren können.
- Das Angebot muss attraktiv sein und den Bedürfnissen entsprechen.
- Busfahren muss günstig sein.
- Der Verkehr muss umweltgerecht und effizient abgewickelt werden.
- Und – das Sahnehäubchen – im besten Fall kann man die Reisezeit zum Lesen und Ähnlichem nutzen.
Was die meisten dieser Faktoren betrifft, ist Luzern gut unterwegs.
- So fahren die Busse auf den Hauptlinien in der Stadt und im direkten Umland zwischen 6 und 20 Uhr im 7,5-Minuten-Takt. Nach 20 Uhr fahren einige Linien noch im 15-Minuten-Takt und am Wochenende zwischen 1 bis 4 Uhr kommt man in viele Gemeinden im Stunden- und teilweise gar im Halbstundentakt.
- Es wird ständig daran gearbeitet, das Angebot zu verbessern.
- Der barrierefreie Ausbau von Haltestellen kommt schrittweise voran. Busse sind vollständig niederflurig.
Problem Pünktlichkeit
Doch ausgerechnet beim wichtigsten Punkt, der Pünktlichkeit, hakt es.
An den markierten Störstellen verlieren die Busse Reisezeit. Solche Verzögerungen wirken sich schnell negativ aus. Bei in dichtem Takt verkehrenden Linien kommt es zur Blockbildung, das heißt statt zeitlich versetzt, fahren die Busse hintereinander her. Und bei Linien mit wenig dichtem Takt resultieren Anschlussbrüche, zum Beispiel Anschlusszüge sind abgefahren, bevor der Bus eingetroffen ist. Das führt – je nach Takt – zu 15, 30 oder gar 60 Minuten längere Reisezeiten.
Das setzt – plakativ ausgedrückt – einen negativen Regelkreis in Gang: Die Verspätungen führen zu verpassten Anschlüssen, dadurch wird der ÖV unattraktiv. Deshalb steigen die Menschen um ins Auto. Das führt natürlich zu mehr Staus – und wiederum zu mehr Verspätungen im Busverkehr.
Deshalb: Busse brauchen im Straßenraum eine Bevorzugung und damit auch Platz. Und diesen Platz muss man zur Verfügung stellen. Gleichzeitig den öffentlichen Verkehr und den Individualverkehr zu fördern, führt zu Problemen und macht den Busverkehr unattraktiv.
Maßnahmen für mehr Pünktlichkeit und Attraktivität
Mit großem Engagement arbeitet der Verkehrsverbund Luzern daran, das Angebot zu verbessern und die Kapazität zu steigern. Maßnahmen zur Beschleunigung sind zum Beispiel:
- Busspuren, die am wartenden Pkw-Verkehr vorbei führen. Eingerichtet wurde auch eine „elektronische Busspur“, auf der der Bus die Fahrbahn des Gegenverkehrs nutzen kann. Dies sorgte für großes Staunen bei der Zuhörerschaft.
- Doppelgelenkbusse, die viele Fahrgäste aufnehmen können
Die Attraktivität wird gesteigert durch:
- Dichter Takt von 7,5 Minuten auf den Hauptlinien, Nachtbusse an Wochenenden im Stunden- und teilweise Halbstundentakt bis 4 Uhr früh in viele Gemeinden.
- Pilotprojekte für das entferntere Umland wie „Taxito“. Private Kfz-Fahrer nehmen an festen Haltestellen Fahrgäste mit – https://www.taxito.com/web/de/index.html
- Öffentlichkeitsarbeit und Information: „Jede Luzerner Gemeinde ist mit dem öffentlichen Verkehr erreichbar – knapp 1000 Haltestellen gibt’s im ganzen Kanton. Der Verkehrsverbund Luzern plant gemeinsam mit Gemeinden, Kanton und Bund das Angebot und passt es laufend an die Bedürfnisse der Bevölkerung an.“ – https://luzernmobil.ch/
Ziel: Verkehrsmittel vernetzen
Im Verkehr geht es nicht um ein Entweder-Oder, entweder Bus oder Privat-Pkw. Das Ziel ist Vernetzung der Verkehrsmittel.
Bus, Bahn, Fahrrad, Füße und der private Pkw sollen gut miteinander zu kombinieren sein. Es soll leicht und einfach sein, von einem Verkehrsmittel ins andere umzusteigen. Rückgrat der vernetzten und effizienten Mobilität ist der ÖV.
Je nach Raum sind bestimmte Verkehrsmittel besonders geeignet. In der Innenstadt mit den Engpassbereichen ist man schnell und sicher mit Rad, Bus, Zug und Taxi unterwegs. Private Pkw haben Transportaufgaben vor allem im umliegenden Bereich und in den ländlichen Gemeinden.
Wie wird der öffentliche Verkehr zum „Rückgrat der Mobilität“?
Wie bringt man die Leute dazu, in Busse und Bahnen umzusteigen? Viele denken, es würde genügen, den ÖV attraktiv zu machen. Dann würden die Fahrgäste schon kommen.
Doch: Das allein funktioniert nicht. Um den öffentlichen Verkehr zum Rückgrat der Mobilität zu machen, muss man den Gesamtverkehr in den Blick nehmen und die „Vier V“ umsetzen.
Teil II: Fragen an Daniel Heer
Im Anschluss an den Vortrag gab es zahlreiche Fragen. Hier eine Zusammenfassung.
Wie lässt sich die Fahrgastnachfrage steuern?
Wie kann man die Fahrgastnachfrage steuern, so dass die Fahrgäste nicht alle zu den Hauptverkehrszeiten unterwegs sein wollen?
Möglichkeiten dafür sind:
- Spartickets, mit Rabatten von 30 bis 70 Prozent, mit denen man nur in der Nebenzeit unterwegs sein kann.
- Mobilitätsmanagement in Zusammenarbeit mit den Unternehmen, zum Beispiel Einrichtung von Fahrradparkplätzen, Zuschüsse zum ÖV-Abonnement.
- Verfügbarkeit von Parkplätzen reduzieren
- Unterrichtszeiten in den Schule anpassen und Start- und Endzeiten staffeln
Wie gewinnt man die Unterstützung der Politik? Zielvorgaben für Öffentlichen und Pkw-Verkehr
Wie erreicht man für solche Maßnahmen die politische Unterstützung und die Unterstützung der Öffentlichkeit?
Die Gemeinden in der Region kämpfen für eine bessere ÖV-Anbindung. Das ist gewollt und sie unterstützen sich deshalb gegenseitig in ihren Vorhaben.
Problematisch wird es bei der Platzkonkurrenz. Soll zum Beispiel der Bus mehr Platz bekommen, gibt es erhebliche Diskussionen um die Prioritätensetzung. Auch in Luzern sei das „ein täglicher Kampf“, so Heer.
Der Kanton Luzern will ja, dass der Verkehrsanteil des öffentlichen Verkehrs bis 2026 auf 45 Prozent steigt. In der städtischen Mobilitätsstrategie ist die Zielvorgabe für den ÖV sogar 47 Prozent per 2020.
Hier gibt es auch eine Zielvorgabe für den motorisierten Individualverkehr (MIV): Er soll von 41 auf 36 Prozent sinken.
Akzeptanz der Autofahrer:innen für Einschränkungen
Akzeptieren die Autofahrenden, wenn sie zum Beispiel an Schleusen warten müssen und nicht weiterfahren dürfen?
An bestimmten Stellen im Verkehrsgebiet ist die Zufahrt in Engpassbereiche mit Lichtsignalanlagen geregelt, zum Beispiel in Richtung Innenstadt Luzern. An diesen Schleusen müssen die Autofahrenden warten, weil die Straßen Richtung Zentrum nur begrenzte Kapazität haben. Bei länger bestehenden Stellen ist man bereits daran gewöhnt.
Die Autofahrer haben natürlich keine Freude, wenn sie gefühlt ausgebremst werden und zum Beispiel zehn Minuten warten müssen. Doch sie würden ohnehin im Stau stehen, ohne vorherige Dosierung nur etwas später mitten im Engpass. Dort wären dann alle anderen Verkehrsteilnehmenden auch betroffen.
Von daher versucht man, den Stau dorthin zu verlagern, wo er weniger stört und wo der Bus daran vorbeifahren kann. So kann in den Engpassbereichen der Verkehr fließen. Das ist auch etwas, das man immer wieder erklären muss.
Wie steht es mit dem Parkraummanagement? – Jobticket statt Parkplatz
Über die Tarife sollen die Autofahrenden motiviert werden, in Parkhäuser zu fahren und das Auto nicht auf öffentlichen Flächen abzustellen. Hier gäbe es noch Luft nach oben.
Die Hälfte aller Menschen, die in der Stadt Luzern arbeiten, hat einen Gratis-Parkplatz zur Verfügung, so eine Untersuchung von 2015. Nur ein Viertel hat gar keinen Parkplatz. Auch das zieht den Verkehr in die Innenstadt und wäre eine Stellschraube.
Manche Unternehmen bieten Jobtickets an. Dies ist eine gute Alternative, anstelle des Ausbaus von Parkplätzen. In einem Krankenhaus können Mitarbeitende einen Gutschein für ein deutlich günstigeres ÖV-Jahresticket oder für Fahrrad- und/oder Fußweg-Equipment bekommen. Im Gegenzug verpflichten sie sich, nicht mehr mit dem Auto anzureisen.
Von unserer Seite aus haben wir den Busverkehr auf dieser Strecke verstärkt. Das hatte einen sehr guten Effekt: Der Autoanteil hat sich um die Hälfte reduziert, der ÖV- und Fahrrad-Anteil ist massiv gestiegen.
Wichtig: Es braucht Köpfe im Unternehmen, die das tragen und durchsetzen. Doch insgesamt war es für das Unternehmen und die Stadt der bessere Weg, als die Parkplätze auszubauen.
Und wer deckt die Kosten?
7,5-Minuten-Takt, das klingt toll – doch wie finanziert sich so ein Angebot?
In der Schweiz wird – wie auch in Deutschland – etwa die Hälfte der Kosten für den ÖV durch Ticketeinnahmen finanziert. Die andere Hälfte trägt der Staat (Bund, Kantone, Gemeinden), also ein Verhältnis von 50:50.
Bei dicht besiedelten Stadtgebieten sind mehr Fahrgäste je Fahrzeug zu erwarten. Dort sind die Ticketeinnahmen in der Regel höher.
Auch in Luzern ist die Auslastung der Linien natürlich unterschiedlich. Die Linien im 7,5-Minuten-Takt bewegen sich bei der Kostendeckung durch Ticketerlöse zwischen 65 und 95 Prozent. Es gibt auch Linien – zum Beispiel bei der Grundversorgung im ländlichen Raum – wo sich die Kostendeckung bei 15 Prozent bewegt.
Im Schnitt liegt die Kostendeckung in Luzern bei etwa 60 Prozent.
Lüneburg: ÖV-Anteil liegt bei mageren 5 Prozent – Steigerung dringend nötig
In Lüneburg liegt der ÖV-Anteil bei rund 5 Prozent. Dafür nimmt der Autoverkehr immer mehr zu – und auch die Beschwerden, dass es im öffentlichen Verkehr keine wirklichen Alternativen gibt.
Lesetipp: Was z.B. in einer deutschen Kommune geschieht, um mehr Fahrgäste für die Busse zu gewinnen, schilderte eindrucksvoll Geschäftsführer Anno Schichler-Koep vom Busunternehmen in Euskirchen. Dort hat man die Fahrgastzahlen seit der Gründung 1995 verhundertfacht.
- So geht erfolgreicher Busverkehr: Bericht aus Euskirchen vom 22. September 2022 – mit Video! (27.09.2022)
Verkehrswende-Bündnis: Veranstaltungsreihe “Lüneburg mobil 2030”
Bis 2030 klimaneutral zu sein – das hat sich die Hansestadt Lüneburg zum Ziel gesetzt. Wie gelingt das im Bereich Mobilität? Damit beschäftigt sich die Veranstaltungsreihe “Lüneburg mobil 2030” des Verkehrswende-Bündnis Lüneburg im Herbst und Winter 2022/23.
Die Veranstaltungen stellen Beispiele aus anderen Städten vor, bieten Hintergrundinformation und laden zur Diskussion ein.
Die Vortragsreihe versteht sich als Vorläufer für den Bundesweiten Umwelt- und Verkehrskongress BUVKO, die Fachtagung für nachhaltigen Verkehr. Dieser findet vom 31. März – 2. April 2023 in der Universität Lüneburg statt.
- Vortragsreihe Lüneburg mobil 2030
Bisherige Veranstaltungen und Infos: https://luene-blog.de/tag/mobil-2030/
Kommende Veranstaltungen
- ERA, EVA, StVO … ?!? – Radwege und Recht
Mittwoch, 15. Februar 2023, 19:00-20:00 Uhr
Mit: Dr. Ralf Kaulen, Stadt- und Verkehrsplanungsbüro Kaulen (SVK) für nachhaltigen Stadt- und Verkehrsplanung. Arbeitsschwerpunkt: Förderung des Fahrradverkehrs und der multimodalen Vernetzung der Verkehrsmittel des Umweltverbunds. - Bundesverkehrskongress BUVKO: Fachtagung für nachhaltigen Verkehr
31. März – 2. April 2023 in der Universität Lüneburg. Anmeldung ab sofort möglich: https://buvko.de
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