Lärmaktionsplanung in Lüneburg – einfach erklärt: EU-Richtlinie und die Umsetzung
Lärm macht krank. In Fünf-Jahres-Schritten soll die Lärmaktionsplanung daher die Lärmbelastung senken und die Lebensqualität vor Ort steigern. Experte Christian Popp beschrieb im Vortrag am 24. Mai 2023 die EU-Vorgaben und mögliche Maßnahmen. Für die Hansestadt erläuterte Jürgen Kipke, Fachbereichsleiter Klimaschutz, Umwelt, Nachhaltigkeit und Mobilität, den Stand der Dinge vor Ort.
Mitteilung von: Lüneburg mobil 2030 – Am: 02.06.2023
Foto: Lüneburg mobil 2030.
I. Lärmaktionsplanung: Die EU-Lärmrichtlinie – Vortrag am 24. Mai 2023
Foto: Lüneburg mobil 2030. Blick in die Veranstaltung am 24. Mai 2023 in der VHS Lüneburg.
Wie läuft die EU-Lärmaktionsplanung ab? Und welche Stellschrauben gibt es, um die Lärmbelastung in vielbefahrenen Straßen zu verringern? Das erläuterte Christian Popp, Beiratsvorsitzender der Lärmkontor GmbH und bundesweit tätiger Fachmann für Lärmaktionsplanung, am 24. Mai 2023 in seinem Vortrag für die VHS Lüneburg und Lüneburg mobil 2030.
Verkehrslärm als Hauptlärmquelle – mit vielen Betroffenen
Ziel der Lärmaktionsplanung ist es, die Lärmbelastung zu senken und damit die Lebensqualität vor Ort zu erhöhen. Konkret geht es darum, potenziell gesundheitsgefährdende Lärmbelastungen zu vermeiden, Belästigungen zu verringern und den Bewohnenden einen ungestörten Schlaf zu ermöglichen.
Dabei ist festzustellen, so Popp: Straßenverkehrslärm ist tatsächlich die Hauptlärmquelle. Elektroautos bringen hier leider keine Besserung. Auch wenn ihr Antrieb leiser ist – ab 25 bis 28 Stundenkilometer sind es die Reifen, die durch ihre Rollgeräusche den Lärm dominieren.
Angegeben werden Lärmpegel mit der Einheit Dezibel. Ab 55 Dezibel in der Nacht und 65 Dezibel am Tag gilt Lärm als gesundheitsschädigend. Die Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation liegen bereits bei 45 Dezibel nachts und 53 Dezibel am Tag. Einen bundesweit festgelegten Grenzwert gibt es nicht.
Schritt I: Analyse und Lärmkartierung
Für die Lärmaktionsplanung muss der Umgebungslärm mit Hilfe vorgegebener Verfahren berechnet und kartiert werden.
Beim Kartieren sind Straßen mit mehr als 8240 Fahrzeugen pro Tag einzubeziehen. So entstehen Karten, die die Lärmbelastung sichtbar machen.
Grafische Darstellung der Lärmbelastung
Hier als Beispiel der Kartenausschnitt aus der Umweltkarte Niedersachsen (mehr) für Lüneburg. Dargestellt ist die rechnerisch ermittelte Lärmbelastung durch Hauptverkehrsstraßen für einen über den gesamten Tag gemittelten Lärmpegel LDEN (Tag-Abend-Nacht-Pegel).
Schritt II: Was lässt sich jetzt tun gegen den Lärm?
Die Kommunen haben dabei weitreichende Möglichkeiten, die Rahmenbedingungen zu definieren: Welche Straßen werden kartiert? Wo sollen die Grenzwerte liegen, ab denen Maßnahmen getroffen werden? Die Schwelle fürs Eingreifen, so Popp, liege aus fachlicher Sicht bei 65 Dezibel am Tag und 55 Dezibel in der Nacht.
Der nächste Schritt ist die Erstellung von Maßnahmenkonzepten unter Mitwirkung der Öffentlichkeit: Die Einwohnenden sollen sich informieren, Vorschläge machen und Stellung nehmen können.
Es gibt verschiedene Stellschrauben, die beim Reduzieren der Lärmbelastung helfen. Dazu gehören:
- Reduzierung und Bündelung der Verkehrsmengen
- Reduzierung des Lkw-Anteils
- Reduzierung der Geschwindigkeit
- Verkehrsberuhigung und gleichmäßigerer Verkehrsfluss
- Förderung lärmarmer Verkehrsmittel: Öffentlicher Verkehr, Rad- und Fußverkehr
- Sanierung der Straßenoberfläche durch lärmarme Fahrbahnbeläge
- Abschirmung vom Lärm durch verschiedene Baumaßnahmen
- Leisere Fahrzeuge und Reifen
Außerdem sollten „Ruhige Gebiete“ definiert werden, die frei von Umgebungslärm und naturnah sind und der Naherholung dienen können. Diese sollten im Flächennutzungsplan berücksichtigt werden.
Schritt III und IV: Erstellung des Aktionsplans und Beschluss des Maßnahmenkatalogs
Auf Grundlage der Untersuchungsergebnisse und der Meldungen der Einwohnenden wird ein Maßnahmenkatalog erstellt, in dem jeweils Aufwand und Wirkungen analysiert sind. Der Beschluss der Maßnahmen liegt schließlich in der Hand der Ratsversammlung.
II. Lärmaktionsplanung in Lüneburg: Verzögert sich
Auch in Lüneburg muss bis zum 18. Juli 2024 unter Einbezug der Einwohnenden ein Lärmaktionsplan erstellt werden – eigentlich. Jürgen Kipke, Fachbereichsleiter Klimaschutz, Umwelt, Nachhaltigkeit und Mobilität, war ebenfalls bei der Veranstaltung anwesend und erläuterte den Stand der Dinge bei der Hansestadt.
Die Lärmkartierung des Landes Niedersachsen hätte bereits im Juni 2022 erstellt werden müssen, wurde jedoch erst Ende Januar 2023 auf der Internetseite des niedersächsischen Umweltministeriums veröffentlicht. Bei einigen Gemeinden Niedersachsens, so auch für Lüneburg, ergaben sich Fehler in der Kartierung, so dass Neuberechnungen erforderlich wurden. Diese sind jedoch noch nicht abgeschlossen und haben dadurch den gesamten Prozess verzögert.
Neue Ausschreibung wird vorbereitet – Verknüpfung mit NUMP vorgesehen
In Zusammenarbeit mit einem Gutachterbüro wird ein Entwurf der Fortschreibung des Lärmaktionsplanes erstellt werden. Die Ausschreibung für das Gutachterbüro wird bereits vorbereitet. Vorgesehen ist nach Möglichkeit eine thematische Verknüpfung mit dem Nachhaltigen Urbanen Mobilitätsplan NUMP.
Eine Fertigstellung des Lärmaktionsplanes bis zum vorgesehenen Termin dürfte angesichts der schon vorhandenen Verzögerungen erhebliche Schwierigkeiten bereiten.
Das Gutachterbüro wird Maßnahmenempfehlungen für Straßen mit einer Verkehrsdichte ab 8240 Fahrzeugen täglich erarbeiten, die zum Schutz vor Lärm und zu nachhaltiger Mobilität beitragen.
- Bürgerinformationssystem der Hansestadt Lüneburg: Lärmaktionsplanung 2019
Mit Protokoll der Öffentlichkeitsbeteiligung. Der vorherige Lärmaktionsplan wurde am 25.06.2019 im Rat der Hansestadt beschlossen. - Lärmaktionsplan 2019 (PDF-Datei) und Beschlussvorlage für den Rat zum Herunterladen:
unter „Vorlage Sammeldokument“ oben rechts.
III. Lärmaktionsplanung anderswo: Flensburg, Winsen und Süßen bei Stuttgart
Christian Popp: „Wenn jemand etwas wirklich will, dann kriegt man das auch hin. Aber man muss es auch wollen.“
Süßen bei Stuttgart: Eine laute Kleinstadt wird leiser
Mit Unterstützung des Verkehrsministeriums in Baden-Württemberg wurde in der Kleinstadt Süßen ein Modellprojekt durchgeführt: Wie kann der Lärm von bereits bestehenden Straßen für einen ganzen Ort gesenkt werden?
Christian Popp, der zuständige Lärmexperte, ging dafür einen neuen Weg und berechnete den Gesamtlärm – nicht nur den Lärm einzelner Straßenabschnitte. „Es ist sinnvoll, man guckt alle Lärmquellen an in einem Gebiet und versucht ein Konzept zu entwickeln, dass die Gesamtbelastung insgesamt heruntergeht“, erklärt der Experte.
Alle Zuständigen an einem Tisch – Vielzahl von Maßnahmen
Für jeden Straßentyp ist in Deutschland eine andere Behörde zuständig. In Süßen kamen zum ersten Mal alle Zuständigen zusammen und überlegten, wie der Lärm verringert werden könnte. Möglich wurde das durch die Unterstützung des Verkehrsministeriums Baden-Württemberg.
Nach dem Bau einer Umgehungsstraße soll es weitergehen: Ein Kreisverkehr soll das laute Anfahren an der Ampel verhindern. Flüsterasphalt soll die Fahrgeräusche dämmen. Straßen werden zurückgebaut. Die Autos müssen dann langsamer fahren und es gibt mehr Platz für Rad- und Fußverkehr. Bei Tempo 30 statt 50 ist es um 10 Dezibel leiser.
„Das habe ich dabei gelernt: Wenn jemand wirklich etwas will, dann kriegt er das auch hin“, stellt Popp fest. „Aber man muss es auch wollen.“
Flensburg: Der Aktionsplan wird umgesetzt – mit Unterstützung der Verkehrsbehörde
In Flensburg wurden beispielsweise aufgrund hoher Verkehrslärm-Betroffenheit Tempo-20- und Tempo-30-Zonen angeordnet. Allerdings war die verkehrsrechtliche Anordnung der Verkehrsbehörde bereits im Vorfeld aufgrund der besonderen örtlichen Gegebenheiten erfolgt: Wohngebiet, Fußgängerzone; hohe Querungszahlen durch zu Fuß Gehende.
Wäre die Umsetzung aus diesen Gründen nicht möglich gewesen, hätte eine Anordnung mit der Begründung Lärmschutz gegriffen. Im Ergebnis also verschiedene Wege mit einer vergleichbaren Wirkung.
- Stadt Flensburg: 3. Lärmaktionsplan (2020) – PDF-Datei
- Stadtblog Flensburg: Umsetzung der Lärmaktionsplanung – Tempo 20 und Tempo 30 in der Rathausstraße und dem Nordergraben – 28.01.2021
Winsen-Pattensen: Verkehrsministerium in Hannover lässt Tempo-Limit aufheben
In Winsen/Luhe stehen die Ergebnisse der Lärmaktionsplanung online bereit. Eine Ratsentscheidung der Stadt Winsen hatte in der Ortsdurchfahrt Pattensen Tempo 30 veranlasst. Das Verkehrsministerium in Hannover hat die Stadt daraufhin angewiesen, das Tempolimit aufzuheben. Die Stadt hat Kontakt mit einer Fachanwältin aufgenommen. Die Geschwindigkeitsbeschränkung besteht weiterhin.
- Stadt Winsen: Lärmaktionsplanung 3. Stufe 2022
- Lüne-Blog: Lärmschutz in Winsen/Pattensen: Hannover will Tempo 30 stoppen – Stadt erwägt Klage – 07.01.2023
Videotipp! Der neue Trend: Lärmblitzer
In Frankreich und Großbritannien sind bereits Lärmblitzer in Aktion. In Berlin wird nun auch einer getestet (tagesschau.de: mehr – 31.05.2023).
Dazu hr-fernsehen: „Geräusche von Autos, Motorrädern oder Lastwagen bedeuten nicht nur Stress, sie können sogar krank machen. Neben Dauerlärm sind vor allem laute Lärmspitzen problematisch, etwa durch aufheulende Motoren beim Anfahren. Wären sogenannte Lärmblitzer die Lösung?“
Das 7-minütige Video ist gleichzeitig eine gute Einführung in die Lärmproblematik.
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