Foto: Klimaentscheid Lüneburg. Podiumsdiskussion "Aufstehen für Klimagerechtigkeit" am 13. Juni 2024 in Lüneburg. Von links: Dr. Steffi Hobuß, Dr. Roda Verheyen, Jakob Basler, Prof. Jelena Bäumler.

Roda Verheyen: „Ambitionslücke“ – Klimaschutz auf dem Rechtsweg durchsetzen

Im Pariser Klima-Abkommen hatten die Staaten 2015 die 1,5-Grad-Grenze für die Erderwärmung vereinbart. Doch: „Wir sind auf dem Pfad zu 3,2 Grad“, so die Rechtsanwältin und Verfassungsrichterin Dr. Roda Verheyen – mit ganz erheblichen Auswirkungen. Klimaklagen greifen, wenn der Schutz davor nicht umgesetzt wird. Darüber sprachen am 13. Juni 2024 Dr. Roda Verheyen, Jakob Blasel, Gründungsmitglied von Fridays for Future, und die Rechtsprofessorin Dr. Jelena Bäumler.


Mitteilung von: Klimaentscheid Lüneburg – Am: 15.06.2024
Online: https://klimaentscheid-lueneburg.de – Foto: Klimaentscheid Lüneburg. 


Dr. Roda Verheyen: „Klimaklagen sind eine Erfolgsgeschichte“

Foto: Klimaentscheid Lüneburg. Podiumsdiskussion „Aufstehen für Klimagerechtigkeit“ am 13. Juni 2024 in Lüneburg. Von links: Dr. Steffi Hobuß, Dr. Roda Verheyen, Jakob Basler, Prof. Jelena Bäumler.

Dr. Roda Verheyen nutzt das bestehende Recht und die Gerichte, damit Konzerne und die Bundesregierung ihrer Verantwortung beim Klimaschutz nachkommen. „Klimaklagen sind eine Erfolgsgeschichte“, stellte die Rechtsanwältin und Richterin am Verfassungsgericht Hamburg in ihrem Vortrag am 13. Juni 2024 im Hörsaal 1 der Leuphana Universität fest. Das Recht sei ein gezieltes Instrument, um mehr Klima- und Umweltschutz durchzusetzen – in Deutschland und weltweit.

Hintergrund: Völkerrecht, Nachhaltigkeit und Fridays for Future

Eingeladen zum Vortrag „Aufstehen für Klimagerechtigkeit – Klimaschutz im Namen des Volkes“ mit anschließender Diskussion hatten die evangelische und die katholische Hochschulgemeinde.

Zusammen mit Roda Verheyen diskutierten Prof. Dr. Jelena Bäumler (Professur für Öffentliches Recht und Völkerrecht mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit) und Jakob Blasel. Blasel studiert Rechtswissenschaften an der Leuphana Universität und baute Fridays for Future in Deutschland maßgeblich mit auf. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Steffi Hobuß, sie ist Akademische Leiterin des Leuphana College.

„Ambitionslücke“: Auf dem Weg zu mehr als 3 Grad Erderwärmung

Warum gibt es Klimaklagen? Die „Ambitionslücke“ ist laut Verheyen der Grund für Klimaklagen. Dazu präsentiert sie eine Grafik mit den maximalen jährlichen Treibhausgas-Emissionen, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen. Daneben die absehbaren THG-Emissionen der nächsten Jahre, wenn nicht mehr für Klimaschutz getan wird: In der Grafik klafft eine große Lücke zwischen beiden Szenarien.

„Wir sind auf dem Pfad zu 3,2 Grad“, erläutert Verheyen, damit seien wir auf dem Weg in die Katastrophe. Würde es dabei bleiben, würde sie ihren eigenen Kindern nicht empfehlen, noch Kinder zu bekommen.

Zivilgesellschaft forciert Klimaklagen

Um die Lücke zwischen dem aktuell praktizierten Klimaschutz und dem eigentlich notwendigen Klimaschutz zu schließen, gibt es immer mehr Klimaklagen, und zwar in fast jedem Land. Die Zivilgesellschaft spielt dabei eine wichtige Rolle. Akteur:innen in Deutschland sind insbesondere Germanwatch, Greenpeace, die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und der BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland).

Erfolgreiche Klage gegen das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung 2021

2021 hatte Verheyen mit ihrer Klimaklage vor dem Bundesverfassungsgericht Recht bekommen: „Das damalige Klimaschutzgesetz (KSG) verletzte die Rechte junger Menschen und künftiger Generationen“. Die damalige Bundesregierung müsse weit mehr tun, damit CO2-Emissionen reduziert und die Klimaziele erreicht werden, urteilte das Gericht. Daraufhin wurde das Klimaschutzgesetz entsprechend nachgebessert.

Aktuell: Rückschritt – nächste Klimaklage beim Verfassungsgericht absehbar

Nur drei Jahre später wurde das KSG vor Kurzem nochmals reformiert und die ursprünglich enthaltenen Sektorziele aufgeweicht. „Jetzt haben wir wieder eine Situation, in der wir Probleme in die Zukunft verschieben“, kommentiert Verheyen diesen Rückschritt. Damit sei die nächste Klimaklage beim Bundesverfassungsgericht absehbar.

Erfolg der Schweizer Klimaseniorinnen vor Europäischem Gerichtshof

Noch bedeutsamer als das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2021 ist die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im April 2024: Seniorinnen aus der Schweiz hatten geklagt, dass fehlender Klimaschutz ihre Menschenrechte verletze.

Das Gericht gab ihnen Recht: Die Menschenrechte aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) umfassen auch das Recht des Einzelnen auf wirksamen Schutz vor schwerwiegenden nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels auf sein Leben, seine Gesundheit und seine Lebensqualität. Der Schutz muss durch die staatlichen Behörden respektive staatliche Maßnahmen umgesetzt werden.

Staaten sind folglich verpflichtet, Gesetze zu erlassen, die konsequent CO2-Emissionen senken. Und zwar gemäß des Pariser Abkommens mit dem darin vereinbarten 1,5-Grad-Ziel und dem entsprechend verbleibenden CO2-Budget. Das Urteil des EGMR sei, sagt Verheyen, „eine der weitestgehenden Entscheidungen weltweit“.

Zivilrechtliche Klagen: Unternehmen zur Verantwortung ziehen

Neben den Klimaklagen gegen staatliche Akteure ging es im Vortrag auch um Klagen wegen zivilrechtlicher Ansprüche gegen Unternehmen. So gibt es in Deutschland Klimaklagen gegen Daimler, BMW, VW, Wintershall und RWE.

Verheyen ist beteiligt an den Verfahren gegen VW und RWE. RWE ist einer der größten Emittenten von Treibhausgasen. Im Verfahren gegen RWE gehe es darum, das Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen für Schäden, die bereits heute durch den Klimawandel verursacht werden. Damit will Verheyen „ein Stück Klimagerechtigkeit“ herstellen.

Entscheidungen der Gerichte umsetzen

„Erfolge vor Gericht bei Klimaklagen sind Mainstream geworden“, beschreibt Verheyen die Popularität dieser Klagen. In den USA gäbe es sehr positive Entwicklungen bei Klagen gegen Unternehmen, für Klimaschäden zu haften. „Da geht es um Milliarden“, weiß Verheyen.

In der Podiumsdiskussion forderte Prof. Jelena Bäumler: „Wir müssen jetzt ins Tun kommen, die Entscheidungen umsetzen und daran arbeiten, Gesetze entsprechend zu ändern“. Man hätte viel gelernt durch die Klimaklagen.

Zum Nachlesen: „Wir alle haben ein Recht auf Zukunft“

Vor gut einem Jahr erschien das Buch „Wir alle haben ein Recht auf Zukunft“, das Roda Verheyen gemeinsam mit Alexandra Endres geschrieben hat. Darin erklären die Autorinnen, wie Klimagerechtigkeit über Klimaklagen erreicht werden kann und erläutern, warum auch Unternehmen sich an Menschenrechte halten müssen und dem Klimaschutz verpflichtet sind.

Mehr zum Thema

  • Klimaschutz: „Wir alle haben ein Recht auf Zukunft – Bericht vom Vortrag von Dr. Roda Verheyen – 04.07.2023
    Klimaschutz, so das Bundesverfassungsgericht 2021, ist ein Grundrecht und somit einklagbar. Ein Erfolg für die Juristin Dr. Roda Verheyen – aber nur ein erster Schritt. „Kein Land nimmt den Klimaschutz ausreichend ernst“, erklärte sie im Vortrag beim Sommerempfang des Kirchenkreises Lüneburg. Daher müsse auch die Rechtsprechung helfen.
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Infografik: Beim Klima ist jedes Grad entscheidend. Österreichisches Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK).

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Lünepedia: Klimaentscheid Lüneburg

Die Initiative „Klimaentscheid Lüneburg“ wurde 2020 gegründet und hat 2021 ein erfolgreiches Bürgerbegehren organisiert mit dem Ziel, dass Lüneburg bis 2030 klimaneutral wird. Der Klimaentscheid vertritt damit die Forderungen von weit mehr als 8.000 Lüneburger:innen. Der Stadtrat ist dem Klimaentscheid 2021 beigetreten, sodass es keinen Bürgerentscheid gab. Unterstützt wird der Klimaentscheid von ca. 50 regionalen Unternehmen, Institutionen und Initiativen, z. B. der Voelkel GmbH, dem NABU Lüneburg und dem Arbeitskreis „Laudato si“ der Kirchengemeinde St. Marien.

Weiterlesen: https://www.luenepedia.de/wiki/Klimaentscheid

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