Lesung mit Katja Diehl, 30. Juni 2022. Foto: Klimaentscheid Lüneburg.

Gleichberechtigt und klimafreundlich mobil – Bericht zur Diskussion mit Katja Diehl am 30. Juni 2022

Gleichberechtigte und klimafreundliche Mobilität für alle – wie könnte das gehen? Am Donnerstag, 30. Juni 2022, las Mobilitätsexpertin Katja Diehl im voll besetzten Lüneburger Wasserturm aus ihrem Buch „Autokorrektur“ und diskutierte mit Verantwortlichen und Interessierten vor Ort. Hier ein Bericht über den Abend. Neu: Jetzt mit Videomitschnitt!


Mitteilung von: Klimaentscheid Lüneburg
Am: 03.07.2022
Online: klimaentscheid-lueneburg.de
Foto: Klimaentscheid Lüneburg


Ziel: Lüneburg klimafreundlicher, mobiler und attraktiver gestalten

Foto: Klimaentscheid Lüneburg. Von links: Dr. Peter Pez, Katja Diehl, Dr. Marie-Luise Braun, Jürgen Krumböhmer, Markus Moßmann.

Wandelwoche 2022: Bestseller-Autorin Katja Diehl zu Gast beim Klimaentscheid am 30. Juni im Wasserturm

Gleichberechtigte und klimafreundliche Mobilität für alle – wie könnte das gehen? Am Donnerstag, 30. Juni 2022, las Mobilitätsexpertin Katja Diehl im Lüneburger Wasserturm aus ihrem Buch „Autokorrektur“.

Im Anschluss diskutierten die Autorin, Prof. Dr. Peter Pez, Verkehrswissenschaftler der Leuphana Universität, Markus Moßmann, Dezernent für Nachhaltigkeit, Sicherheit und Recht Lüneburg, und Jürgen Krumböhmer, Erster Kreisrat im Landkreis Lüneburg. Das Interesse war groß: Mit siebzig Zuschauer*innen waren alle verfügbaren Plätze im Wasserturm belegt.

Jede:r sollte das Recht haben, ein Leben ohne eigenes Auto führen zu können

Katja Diehl war jahrelang in der Mobilitäts- und Logistikbranche tätig. Unter “She Drives Mobility” (https://katja-diehl.de) arbeitet sie zu den Themen Mobilität der Zukunft, neues Arbeiten und Diversität. Sie berät die österreichische Klimaschutzministerin und den Verkehrsminister von Baden-Württemberg.

“Jede:r sollte das Recht haben, ein Leben ohne ein eigenes Auto führen zu können”, so der Wunsch der Autorin. Dazu gehören auch die, die gar keinen Führerschein haben. Das sind in Deutschland 13 Millionen Menschen. Und dazu kommen die, die aus verschiedenen Gründen nicht Auto fahren können oder wollen.

Bedürfnisse vieler Menschen werden nicht berücksichtigt

Für ihr Buch hatte Diehl Menschen befragt, ob sie Auto fahren wollen – oder müssen, weil es keine gute Alternative gibt. Das Ergebnis: Die Bedürfnisse vieler Menschen werden nicht angemessen berücksichtigt.

Städte und Land müssen dafür anders ausgerichtet werden. Alternativen zum Auto müssen attraktiver und verfügbarer werden. Das gilt besonders auf dem Land, wo ein Leben ohne Auto häufig nicht möglich ist.

Lebensqualität ist nicht schnell durchfahren und billig parken …

„Ich möchte in einer Stadt wohnen, die versteht, dass Lebensqualität nicht am ‚schnell-durch-die-Stadt-Fahren-und billig-Parken‘ gemessen werden sollte, sondern an der Freude, in ihr spazieren zu gehen, Menschen zu begegnen, durchzuatmen und die Ruhe zu genießen“, schreibt Diehl. Die Attraktivität einer Stadt und auch die Umsätze des Handels steigen, wenn Menschen gern in einer Stadt verweilen.[1]

Die Stadt den Menschen zurückgeben

Die Stadt solle den Menschen zurückgegeben werden, fordert Diehl, so wie es in u.a. in Paris, Helsinki, Wien und Kopenhagen schon geschieht. Alles, was mit Muskelkraft bewegt wird, müsse Vorrang erhalten. Die Privilegien, die das Auto über Jahrzehnte erhalten hat, würden heute als Recht missdeutet, kritisiert die Autorin.

Diskussion: Verkehrsplan, Bahnreaktivierung und Radschnellwege als geplante Maßnahmen

Eine spannende Diskussion schloss sich an, moderiert von Dr. Marie-Luise Braun von der agentur wortgewandt.

Stadtrat Markus Moßmann erläuterte, was für Lüneburg geplant ist. Bereits auf den Weg gebracht sei die Erstellung des nachhaltigen urbanen Verkehrsplans (NUMP), der in zwei Jahren fertig sein soll.

Darin werde aufgezeigt, mit welchen konkreten Maßnahmen Klimaneutralität im Verkehrsbereich erreicht werden kann. Diese Maßnahmen würden ab 2025 umgesetzt. Vorab würden In den nächsten zwei Jahren auch einige von Professor Dr. Pez vorgeschlagene Maßnahmen realisiert.

Widerstand von denen, die Privilegien nicht verlieren wollen?

Bei den geplanten Maßnahmen des Landkreises führte Kreisrat Jürgen Krumböhmer die Reaktivierung von Bahnstrecken und den Ausbau von Radschnellwegen an. Beide, Moßmann und Krumböhmer, wiesen darauf hin, dass es bei vielen Planungen Widerstände aus der Bevölkerung gibt. Dem wollen sie mit besserer Kommunikation und mehr Bürgerbeteiligung entgegenkommen.

Die österreichische Klimaschutzministerin, so Diehl, hielte diese Widerstände aus, indem sie das in Paris unterschriebene 1,5-Grad-Ziel ganz klar als ihren politischen Auftrag verfolge. Es könne nicht sein, so Diehl, dass die, die Angst haben, Privilegien zu verlieren, den Kurs bestimmen könnten.

Motorisierter Individualverkehr muss etwa um die Hälfte zurückgehen

In Lüneburg gibt es den einhelligen politischen Beschluss, bis 2030 klimaneutral zu werden. Auf die Frage der Moderatorin Braun, wie stark dafür der Autoverkehr in Lüneburg reduziert werden muss, antwortete Moßmann, er könne „die Zahl nicht beziffern“.

In der kürzlich vorgestellten CO2-Bilanz für Lüneburg gaben Expert*innen an, der motorisierte Individualverkehr müsse um 40-60 Prozent reduziert werden. [2]

Schwächeren Mobilität ermöglichen

Bei der Diskussion mit dem Publikum ging es u.a. darum, was die Mobilitätswende für „die Schwächeren“ bedeutet. Einigkeit bestand darin, dass es keine Nachteile geben wird für Menschen, die auf ihr Auto angewiesen sind, z.B. Ältere oder Menschen mit Einschränkungen.

Diehl betonte, dass man gleichzeitig auch die Menschen nicht verlieren dürfe, die auf Veränderungen warten, also schwächere Verkehrsteilnehmende wie Kinder, Rollstuhlfahrer*innen, Menschen mit Rollator, Fußgänger*innen, Radfahrer*innen, Menschen ohne Auto.

Pez: Maßnahmen-Papier mit zehn Punkten

Prof. Dr. Pez befasst sich seit Jahrzehnten mit der Verkehrssituation in Lüneburg und hat aktuell ein 10-Punkte-Papier für die Stadt entwickelt, mit sofort und ohne großen finanziellen Aufwand umsetzbaren Maßnahmen. Er berichtet von einer 2021 in Lüneburg durchgeführten Verkehrszählung. Dabei wurde ermittelt, dass zwei Drittel der Wege mit dem Auto gefahren werden.

Anhand von Studien hat Pez errechnet, „dass wir in Lüneburg den Anteil des motorisierten Individualverkehrs von heute zwei Drittel auf 40 % oder sogar darunter senken könnten“. Das müsse die Zielmarke sein.

Abbau von Hindernissen für Radverkehr, mehr Platz für Rad und Busse

Vor allem aber sei der Abbau von Hindernissen für den Radverkehr wichtig. Außerdem seien Förderstrategien wie Verbesserung des ÖPNV und Bahnstreckenreaktivierung nötig.

Zudem müssten Rad und ÖPNV mehr Flächen bekommen. Dafür sollten nahezu parallele Straßenzüge, wie z.B. die Soltauer und die Uelzener Straße, zu Einbahnstraßen umgewidmet werden. Damit kämen klimafreundliche Verkehrsmittel schneller voran.  Autofahrer*innen würden damit kleine Umwege aufgebürdet, was dazu führe, dass einige bei der Wahl des Verkehrsmittels umdenken.

Bei Einrichtung der Fußgängerzone 1993: “Ruin für den Handel” befürchtet

Pez wies darauf hin, dass schon 1993, als die Fußgängerzonen eingerichtet wurden, argumentiert wurde, das sei der Ruin für den Handel. Dies sei jedoch komplett ausgeblieben, stattdessen gibt es jetzt ein attraktives Stadtzentrum mit einer autoarmen Altstadt.


Lese- und Diskussionsreihe Klima.Wandeln.Hier. Grafik: Klimaentscheid Lüneburg.

Lese- und Diskussionsreihe Klima.Wandeln.Hier. Grafik: Klimaentscheid Lüneburg.

Hintergrund: Veranstaltungsreihe Klima.Wandeln.Hier des Klimaentscheid Lüneburg

Der Abend mit Katja Diehl war der Auftakt der Reihe “Klima.Wandeln.Hier”. Die Reihe soll zeigen, wie man hier vor Ort für mehr Klimaschutz aktiv werden kann.

Kommende Veranstaltungen

  • Am 21. Juli 2022, 19:00 Uhr, liest Nick Reimer aus dem Buch „Deutschland 2050“, in der Avenir Rösterei, Ilmenaugarten 137c.
  • Weitere Veranstaltungen behandeln die Themen Energie, Ernährung und die Verantwortung der Medien in der Klimakrise. Die Termine gibt der Klimaentscheid in Kürze bekannt.

Initiatorin der Veranstaltungsreihe ist Dr. Marie-Luise Braun. Die Veranstaltungen werden vom Klimaentscheid Lüneburg organisiert. Kooperationspartner*innen der Reihe sind die Stiftung Leben & Umwelt/Heinrich-Böll-Stiftung Niedersachsen, JANUN Lüneburg e.V. und die agentur wortgewandt.


Hintergrund: Treibhausgas-Bilanz der Hansestadt Lüneburg

Grafiken und Zitate aus: Energie- und THG-Bilanz 2017 bis 2019. Potenziale & Szenarien. Hansestadt Lüneburg. beks EnergieEffizienz, Mai 2022. PDF-Datei – mehr

Fazit der Studie: Aktuelle Bemühungen reichen nicht aus

Die Treibhausgas-Bilanz berechnet die Treibhausgase, die durch den Energieverbrauch und den Verkehr verursacht werden. Nicht erfasst sind in einer solchen Bilanz privater Konsum, Ernährung und Reisen. Man schätzt, dass etwa ein Drittel der Treibhausgase durch diese Bilanz nicht erfasst werden.

Kurzes Fazit der Studie: Um das Ziel der Klimaneutralität bis 2030 zu erreichen, muss der Endenergieverbrauch mindestens um 37 Prozent reduziert werden (S.38) und die Energieträger müssen verlagert werden auf fossilfreie Energie. “Die aktuellen Klimaschutzbemühungen reichen nicht aus!” (S. 42).

Treibhausgasemissionen in Lüneburg 2019. Die größte Rolle spielen - in abnehmender Reihenfolge, Industrie, Verkehr, private Haushalte und Gewerbe, Handel, Dienstleistungen. Energie- und THG-Bilanz Hansestadt Lüneburg, S. 15. (Bildsymbole ergänzt).

Treibhausgasemissionen in Lüneburg 2019. Die größte Rolle spielen – in abnehmender Reihenfolge, Industrie, Verkehr, private Haushalte und Gewerbe, Handel, Dienstleistungen. Aus: Energie- und THG-Bilanz Hansestadt Lüneburg, S. 15. (Bildsymbole ergänzt).

Hohes Einsparpotenzial im Verkehr. Aus: Energie- und THG-Bilanz Hansestadt Lüneburg, S. 24.

Hohes Einsparpotenzial im Verkehr. Aus: Energie- und THG-Bilanz Hansestadt Lüneburg, S. 24.

Derzeit gibt es jedoch kaum Einsparungen im Verkehr. Hier sind vermehrte Anstrengungen nötig, um das Potenzial auszuschöpfen. Aus: Energie- und THG-Bilanz Hansestadt Lüneburg, S. 48.

Derzeit gibt es jedoch kaum Einsparungen im Verkehr. Hier sind vermehrte Anstrengungen nötig, um das Potenzial auszuschöpfen. Aus: Energie- und THG-Bilanz Hansestadt Lüneburg, S. 48.


Grafiken und Zitate aus: Energie- und THG-Bilanz 2017 bis 2019. Potenziale & Szenarien. Hansestadt Lüneburg. beks EnergieEffizienz, Mai 2022. PDF-Datei – mehr

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