Stadt Lüneburg soll Versammlungsrecht achten – Offener Brief

Die Achtung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit – das fordern 19 Vereine und Initiativen, darunter Fridays for Future, AStA Universität Lüneburg, Klimaentscheid und Stadtjugendring – in einem offenen Brief an die Hansestadt. Immer wieder gebe es Verzögerungen durch kurzfristig mitgeteilte Entscheidungen des Ordnungsamts. Nicht selten müsse sogar der Klageweg beschritten werden, um unnötige Einschränkungen zu verhindern. Hier die Pressemeldung – darunter der offene Brief.


Mitteilung von: KlimaKollektiv Lüneburg
Am: 21.02.2022


1. Demokratie braucht Versammlungsfreiheit

Foto: Klimakollektiv. Beim Einwerfen des offenen Briefes.

19 Initiativen, Gruppen und Vereine der sozialen Bewegungen wenden sich mit einem offenen Brief an die Hansestadt Lüneburg. Sie wollen damit auf blockierende Verhaltensweisen des für Versammlungen zuständigen Ordnungsamts hinweisen und für versammlungsfreundliche Verhältnisse eintreten. Dazu gehört, dass in den vergangenen Monaten die Durchsetzung demokratischer Grundrechte oft auf dem Rechtsweg erstritten werden musste. Neben dem Verbot von Versammlungsorten und -routen wird auch kritisiert, dass Entscheidungen des Ordnungsamts oft erst wenige Tage vor dem Versammlungstermin kommuniziert werden.

Keine Behinderung von politischen Versammlungen

„Soziale Bewegungen stellen eine wesentliche Institution der politischen Aushandlung und Willensbildung dar und sind für die demokratische Kontrolle der Regierenden durch die Zivilgesellschaft unerlässlich. Es ist wichtig, dass die Ausdrucks- und Einwirkungsmöglichkeiten selbstorganisierter Gruppen in der Stadtgesellschaft gestärkt und nicht behindert werden. Eine wichtige Ausdrucksform stellen in diesem Zusammenhang politische Versammlungen dar”, erläutert Jonas Korn vom KlimaKollektiv.

Elf Beispiele für umstrittene Entscheidungen des Ordnungsamts

Im Offenen Brief werden 11 politische Veranstaltungen gelistet, welche in den letzten Monaten von zweifelhaften Entscheidungen des Ordnungsamtes betroffen waren. Darunter die Demonstration von Black Lives Matter am 25. Juli 2020.

“Zwei Tage vor unserer Demonstration forderte das Ordnungsamt uns auf, die geplante Uhrzeit zu ändern – wegen der vielen Einkaufspassant*innen. Im Kooperationsgespräch hatten wir die Route jedoch schon so verändert, dass wir kaum Passant*innen begegnen würden. Das Verwaltungsgericht gab uns zwar Recht mit unserem Eilantrag, aber so stand erst am Vorabend der Demo die endgültige Uhrzeit fest”, so Nana Amoah, ehemals Leuphana African Students Organisation.

Immer wieder Auflagen, die vor Gericht zurückgerufen werden

In vielen der Beispiele zeigt sich ein ähnliches Schema: Das Ordnungsamt verbietet zunächst bestimmte Aspekte (wie z. B die gewählte Route) einer angemeldeten Versammlung. Vor Gericht haben diese Auflagen oft keinen Bestand. Das zeigt, dass das Ordnungsamt oft zu rigoros Aspekte von politischen Versammlungen verbietet und von der Justiz zurückgerufen werden muss.

Kontakt

KlimaKollektiv Lüneburg – klimakollektiv@riseup.net

Offener Brief vom 21.02.2022 an die Hansestadt Lüneburg - die unterzeichnenden Verbände und Initiativen.

Offener Brief vom 21.02.2022 an die Hansestadt Lüneburg – die unterzeichnenden Verbände und Initiativen.


2. Demokratie braucht Versammlungsfreiheit – Offener Brief

Lüneburg, Februar 2022

Liebe Oberbürgermeisterin, liebe Mitarbeiter*innen und Entscheider*innen der Hansestadt Lüneburg,

soziale Bewegungen, bestehend aus Nichtregierungsorganisationen, Initiativen, Verbün­den, Vereinen usw., stellen eine wesentliche Institution der politischen Aushand­lung und Willensbildung dar. Sie sind damit für eine demokratische Kontrolle der Regierenden durch die Zivilgesellschaft unerlässlich. In vielen politischen Fragen kamen entscheidende Anstöße für im Nachhinein im Gemeinsinn als notwendig oder richtig erachtete Veränderungen aus sozialen Bewegungen.

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass die Ausdrucks- und Einwirkungsmöglich­keiten selbstorganisierter Gruppen in der Stadtgesellschaft gestärkt und nicht behindert werden. Eine wichtige Ausdrucksform stellen in diesem Zusammen­hang politische Versammlungen dar. Diese werden im Grundrecht auf Ver­sammlungsfreiheit geschützt.

Auf lokaler Ebene ist es Aufgabe des Ordnungsamts Versammlungsfreiheit si­cherzustellen, wozu der Schutz der Versammlungsteilnehmenden und anderer Personen und Objekte sowie die Beratung der anmeldenden Personen gehört.

In Lüneburg hat sich in den vergangenen Monaten und Jahren jedoch gezeigt, dass sich das Ordnungsamt nicht selten blockierend gegenüber politischen Versamm­lungen verhält und in der Folge die Durchsetzung demokratischer Rechte oft auf dem Rechtsweg erstritten werden muss. Dabei ist es zudem als problematisch anzu­sehen, dass Entscheidungen gegen einen angemeldeten Versammlungsort oft erst wenige Tage vor dem Versammlungstermin kommuniziert werden und eventuell notwendige rechtliche Schritte zur Durchsetzung der Demonstrations­freiheit im Eilverfahren durchgeführt werden müssen. Dadurch wird das Hinzu­ziehen anwaltlicher Unterstützung nahezu unumgänglich. Durch die kurze Zeit­spanne ist der Gang in höhere Instanzen, also auch bis vor die höchsten deut­schen Gerichte, in der Regel nicht möglich.

Die vielen positiven Entscheidungen der Ge­richte für die Versammlungsanmeldenden zeigt, dass das Ordnungsamt oft zu repressiv entscheidet, sodass deren Entscheidungen von den Gerichten revidiert werden. Es muss dabei konstatiert werden, dass ein Gang vor Gericht eine Op­tion ist, die vielen Gruppen nicht offen steht. Sei es wegen mangelnder Erfah­rung im Umgang mit den politischen Institutionen, sei es, weil kein Anwalt er­reichbar ist, der unterstützen kann oder sei es, weil die teils immensen Kosten juristischer Prozesse gescheut werden. Dabei ist hervorzuheben, dass Personen mit geringem Einkommen zwar Prozesskostenhilfe beantragen können, deren Bewilligung jedoch von einer positiven Gerichtsentscheidung abhängig ist. Viele soziale Gruppen werden durch solches institutionelles Vorgehen also von vornherein in der Beteiligung an politischen Prozessen behindert.

Hinzu kommt, dass durch Verzögerungen von Seiten der Versammlungsbehörde die Mobilisierungsmöglichkeiten zu politischen Versammlungen eingeschränkt werden. Die Ankündigung und Bewerbung solcher ist effektiv erst dann richtig möglich, wenn ein genehmigter Versammlungsort vorliegt. Durch die oft verkürzten Mobilisierungsphasen können also vermutlich viele Personen nicht mehr erreicht werden, die andernfalls an den Versammlungen teilgenommen hätten.

Folgende Gruppen und Veranstaltungen waren in den letzten Monaten von solchen Ent­scheidungen des Ordnungsamtes betroffen:

  1. Unfug-Aktionstag am 30.05.2020. Durch eine Klage konnten rechtswidrige Auflagen (Demonstrationsmittelbeschränkung, Werbeverbot, Pflicht zur Personalienerfassung der Teilnehmenden) gegen die Versammlung zurückgewiesen werden. [Landeszeitung] [Unfug]

  2. Demonstration von Black Lives Matter am 25.07.2020. Die geplante Demonstration durch die Innenstadt wurde mit Verweis auf die dortigen Einkaufspassant*innen untersagt. Auch die Uhrzeit sollte verändert werden, was nur mit einem Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht verhindert werden konnte. [Blog von Cécile Lecomte]

  3. Demonstration von Fridays for Future am 25.09.2020. Es gab Verzögerungen von Seiten des Ordnungsamts, die auch die Route über den Sande zunächst verhindern wollte. [Landeszeitung]

  4. Demonstration gegen die A39 und für die Mobilitätswende am 12.12.2020. Es musste vor dem Verwaltungsgericht erklagt werden, dass die Demonstration auf der Ostumgehung durchgeführt werden kann. [Landeszeitung]

  5. Feministische Demonstration am 07.02.2021. Es musste vor Gericht erstritten werden, dass in der Innenstadt demonstriert werden darf. [Blog von Cécile Lecomte]

  6. Sammelstart des Klimaentscheids am 24.04.2021. Die Unterschriftensammlung sollte mit einem Stand am Sande beginnen. Erst einen Tag vorher wurde mitgeteilt, dass der Stand trotz eines Hygienekonzepts nicht aufgebaut werden darf. Ein anderer Stand war am entsprechenden Tag vor Ort möglich, obwohl dieser erst später angemeldet worden ist. [Klimaentscheid Lüneburg]

  7. Demonstration des Bündnisses „Recht auf Stadt“ am 22.05.2021. Es musste vor dem Verwal­tungsgericht erklagt werden, dass die Route durch die Innenstadt (inklusive Bäckerstraße) führen durfte. [Landeszeitung] [Landeszeitung] [Uelzener Presse] [Unfug] [LG heute]

  8. Demonstrationen gegen die A39 und für die Mobilitätswende am 06.06.2021 und 10.10.2021. Eine Demonstration auf der bereits umgewidmeten A39 wur­de untersagt. Diese Entscheidung wurde trotz Teils viele Wochen vor dem Demonstrationstermin erfolgten Anmeldung erst wenige Tage vor dem Demonstrationstermin in ei­nem „Kooperationsgespräch“ mitgeteilt. Eine Klage war daher jeweils nur im Eilverfahren und damit ohne weitergehende Akteneinsicht und ohne die Möglichkeit, vor die höchsten deutschen Gerichte vor Versammlungs­beginn zu ziehen, möglich. [Landeszeitung] [Landeszeitung] [Landeszeitung]

  9. Klimacamp auf dem Marienplatz von Juli bis Oktober 2021. Es musste vor dem Verwaltungsgericht erklagt werden, dass die vieltägige Versammlung wie geplant auf diesem zentralen Ort di­rekt beim Rathaus durchgeführt werden konnte. Es kam zu Verzögerungen durch die Versammlungsbehörde. [Landeszeitung]

  10. Straßenfest von einem Bündnis aus Radentscheid, Klimaentscheid, Klimakollektiv, BI Grüngürtel West, Unser Wasser und AG Mobilität am 04.09.2021. Die Stadt verbietet eine Versammlung als Straßenfest in der Waagestraße aufgrund von dadurch versperrten Rettungswegen. Die Sper­rung eben dieser Straße für die Soldatenvereidigung auf dem Marktplatz wurde offensichtlich nicht beanstandet. [Lüneburg heute]

  11. Gegenprotest zu „Querdenken“ am 20.12.2021. Obwohl von den „Spaziergänger*innen“ der Gruppierung „Freie Niedersachsen“ keine Versammlungsanmeldung bei der Stadt Lüneburg erfolgte, wurde der angemeldete Gegenprotest auf einen Teil des Marktplatzes beschränkt. Die unangemeldete Versammlung wurde polizeilich durchgesetzt – eine Maskenpflicht zunächst jedoch nicht. [Blog von Cécile Lecomte]

Wie bereits beschrieben braucht eine lebendige Demokratie versammlungs­freundliche Verhältnisse. Diese herzustellen, wäre daher im Sinne einer demo­kratischen Stadtverwaltung. Darüber hinaus ist festzustellen, dass eine Versammlungsbehörde auch ganz anders agieren und soziale Bewegungen durch Beratungsangebote und online einsehbare Informationen zur Anmeldung und Durchführung von politischen Versammlungen unterstützen könnte. Daher rufen folgende Gruppen dazu auf, die Able­hnungs- und Verzögerungspraxis des Ordnungsamts einzustellen und Versammlungen und zivilgesellschaftliches Engagement wirklich zu unterstützen.

Unterzeichnet von:

Fridays for Future Lüneburg

Junges Afrokollektiv

KlimaKollektiv Lüneburg

Robin Wood Hamburg – Lüneburg

Unfug

Leuphana African Students Organisation

Extinction Rebellion Lüneburg

AStA Universität Lüneburg

Klimaentscheid Lüneburg

Klimacamp Lüneburg

Fosil Free Lüneburg

Parents for Future Lüneburg

Unser Wasser

Stadtjugendring Lüneburg e.V.

Sozialistische Jugend – Die Falken / OV-Lüneburg

Radentscheid Lüneburg

Antifaschistische Aktion Lüneburg / Uelzen

Seebrücke Lüneburg

DGB Jugend Lüneburg

  • Offenen Brief als PDF-Datei herunterladen: nextcloudmehr

3. Hintergrund: Das Recht auf Versammlungsfreiheit

“Entscheidend ist hier die in Artikel 8 des Grundgesetzes garantierte Versammlungsfreiheit. Sie schützt das Recht, sich ‘friedlich und ohne Waffen zu versammeln’ …
Die Versammlungsfreiheit kann aber eingeschränkt werden – auch durch Verbote oder Auflösungen. Die Hürden dafür sind allerdings hoch, weil die Versammlungsfreiheit in einer Demokratie ein wichtiges Rechtsgut ist.
Für ein Verbot braucht es eine ‘unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung’. Das können jegliche Verstöße gegen die Rechtsordnung und die Rechte Einzelner sein. … Verbote müssen außerdem im Einzelfall verhältnismäßig sein. … Dabei ist zu beachten, dass die Versammlungsfreiheit auch das Recht schützt, den Ort der Versammlung frei zu wählen. ”

  • Quelle: tagesschau.de – mehr

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