Polizei. Foto: Jonas Augustin, Pixabay.

Land Niedersachsen und evangelische Kirche: Gespräch zu Kirchenasyl geplant

Eine russische Familie, die in Bienenbüttel im Kirchenasyl Unterkunft gefunden hatte, wurde am Sonntag, 12. Mai 2024, von der Polizei abgeholt und nach Spanien geflogen. Die Festnahme an einem Sonntag und die Missachtung des Kirchenasyls „erschüttern und erschrecken uns zutiefst“, erklärt Tobias Heyden, Pastor der Kirchengemeinde Bienenbüttel. Innenministerin Daniela Behrens hat nun Zuständige in Kirche und Landes-Aufnahmebehörde zum Gespräch eingeladen.


Aktualisierung – 28. Mai 2024

Keine weiteren Abschiebungen oder Überstellungen aus dem Kirchenasyl in Niedersachsen

Kirchen und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wollen Verständnis von Härtefällen neu austarieren

Die Niedersächsische Ministerin für Inneres und Sport, Daniela Behrens, Landesbischof Ralf Meister und weitere Vertreterinnen und Vertreter der evangelischen Kirche in Niedersachsen sowie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen (LAB NI) haben sich am 28.05.2024 intensiv über das Thema Kirchenasyl ausgetauscht.

Das Land und die kirchlichen Vertreterinnen und Vertreter waren sich einig, dass Kirchengemeinden auch in Zukunft nach sorgfältiger Prüfung und als Gewissensentscheidung Kirchenasyl gewähren können. Das Land Niedersachsen wird seinerseits keine weiteren Abschiebungen oder Überstellungen in andere EU-Staaten aus dem Kirchenasyl vornehmen.

Landesbischof Ralf Meister erklärt: „Die Innenministerin hat heute sehr deutlich gemacht, dass es die Auflösung eines Kirchenasyls – wie in Bienenbüttel – künftig nicht mehr geben soll. Das begrüßen wir ausdrücklich.


Mitteilung von: Nds. Ministerium für Inneres und Sport – Am: 15.05.2024
Online: https://www.mi.niedersachsen.de/


Land Niedersachsen und evangelische Kirche: Austausch zum Umgang mit Kirchenasyl geplant

Die vierköpfige, russische Familie war in Deutschland bei Verwandten zu Besuch, als in ihrem Zuhause in Russland der Einberufungsbefehl für Vater und Sohn eintraf. Für die Familie war klar, dass sie sich nicht an dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine beteiligen wollen. Sie beantragte daher in Deutschland Asyl.

Nach sorgfältiger Prüfung erachteten die Propstei und die Kirchenkreissozialarbeit in diesem Fall Kirchenasyl für angezeigt. Am Sonntag, 12. Mai 2024, wurde die Familie dennoch von der Polizei abgeholt und nach Spanien geflogen.

Die Festnahme an einem Sonntag und die Missachtung des Kirchenasyls „erschüttern und erschrecken uns zutiefst“, erklärt Tobias Heyden, Pastor der Kirchengemeinde Bienenbüttel.

Innenministerin Daniela Behrens lädt ein zum Gespräch

Die Niedersächsische Ministerin für Inneres und Sport, Daniela Behrens, hat nun Vertreter:innen der evangelischen Kirche und der Landes-Aufnahmebehörde zum Gespräch eingeladen am Dienstag, 28. Mai 2024. Themen: Das gemeinsame Verständnis von Härtefällen, der Umgang mit Kirchenasyl und die Möglichkeiten, die niedersächsische Härtefallkommission anzurufen.

Kirchenasyl für den Zeitraum einer zusätzlichen Einzelfallprüfung

Innenministerin Daniela Behrens erklärt: „Die Landesregierung steht ohne Wenn und Aber zu der im Jahr 2015 zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und den Kirchen getroffenen Vereinbarung, dass Menschen mit besonders tragischen Fluchtbiografien für den Zeitraum einer zusätzlichen Einzelfallprüfung durch das Bundesamt im Kirchenasyl aufgenommen werden können. In diesem Zeitraum hat es in den vergangenen Jahren und wird es auch in Zukunft keine Abschiebungen aus Niedersachsen geben!“

Bundesamt für Migration (BAMF): Kein Härtefall

„Der Fall der aus Bienenbüttel nach Spanien überstellten Familie ist menschlich ausgesprochen tragisch und für die Betroffenen sicher hoch belastend. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat hier jedoch bedauerlicherweise keinen Härtefall erkannt. Die Rückführung ist in einem korrekten rechtsstaatlichen Verfahren abgelaufen.

Die Zahl der Härtefalle, bei denen Kirche und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nicht übereinkommen, ist stark gestiegen. Bei dem gemeinsamen Treffen soll deshalb offen unter anderem über das gemeinsame Verständnis von Härtefällen, den Umgang mit Kirchenasyl sowie über die Möglichkeiten der Anrufung der niedersächsischen Härtefallkommission gesprochen werden“, so die Ministerin.

Hintergrund: Kirchenasyl und Dublin-Verfahren

Angesichts steigender Fälle im Kirchenasyl haben der damalige Präsident des BAMF und hochrangige Vertretende der evangelischen und katholischen Kirchen am 24.02.2015 eine Vereinbarung getroffen. Danach werden besondere Härtefälle im Dublin-Verfahren mit einem entsprechend begründeten Dossier, von benannten Kirchenvertretenden gesteuert, dem BAMF zur nochmaligen Überprüfung vorgelegt.

Die Dossiers sollen von den benannten Kirchenvertretenden nur in wirklichen Ausnahmefällen bei besonderen individuellen Härten eingereicht werden. Zeitpunkt ist möglichst vor Eintritt in ein Kirchenasyl sowie vor Ablauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist nach der Dublin-III-Verordnung.

Prüfung durch das BAMF – Länder sichern nur Vollzug

Die Entscheidung, ob ein Härtefall vorliegt, trifft ausschließlich das BAMF. Die Länder agieren in Dublin-Verfahren lediglich als Vollzugshilfe, indem sie die Überstellungen organisieren und vollziehen. Die Möglichkeit, die Härtefallkommission des Landes anzurufen, besteht für die Betroffenen in Dublin-Verfahren grundsätzlich nicht.

Die Zahl der Personen, die sich in Niedersachsen im sogenannten Kirchenasyl aufgehalten haben, ist von 15 Fällen im Jahr 2022 auf 80 Fälle in 2023 zuletzt deutlich angestiegen. Dabei umfasst ein Fall in der Regel mehrere Personen.

Mehr zum Thema

  • NDR: Trotz Kirchenasyl: Behörden schieben russische Familie ab – 15.05.2024
    Niedersachsen hat eine russische Familie abgeschoben, obwohl sie Kirchenasyl hatte. Der Flüchtlingsrat wirft der Landesregierung einen Tabubruch vor, die Landesaufnahmebehörde kritisiert die Gemeinde.
  • evangelisch.de: Niedersachsen schiebt russische Familie aus Kirchenasyl ab – 14.05.2024
    Die beiden Männer hätten den Kriegsdienst für Russland verweigert. Alle vier seien noch in der Nacht nach Barcelona geflogen worden. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten habe das Land Niedersachsen damit ein Kirchenasyl durch den Einsatz der Polizei beendet und die Schutzsuchenden abgeschoben.
  • evangelisch.de: Bischof Kramer fordert Schutz für Ukrainer – 09.09.2023
    Der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Friedrich Kramer, hat die Bundesregierung und die Europäische Union aufgefordert, geflüchtete ukrainische Kriegsdienstverweigerer nicht an die Ukraine auszuliefern. „Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht“, erklärte der mitteldeutsche Landesbischof. „Wer den Dienst mit der Waffe aus Gewissensgründen ablehnt und dem dafür Verfolgung droht, der braucht Hilfe, Schutz und Asyl.“ Dieses Menschenrecht gelte auch in Ländern, die sich im Krieg befinden.

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